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Warum wir keinen Jahresvorrat an Energie in unseren Speichern brauchen

Ein kontinentales Energiesystem ist kein Öltank.

Hi Cleantechie!

Dieser Newsletter gibt dir jede Woche in 5 Minuten den Überblick über die wichtigsten Unternehmen, Forschungsdurchbrüche und Trends der Branche.

Diese Woche kommt ein Nachklapp zum Auftakttext meiner Speicherreihe. Dort hatte ich gezeigt, wie hoch der Speicherbedarf für Deutschland sein wird.

Jetzt aber habe ich gemerkt, dass etwas fehlte: Manche Menschen glauben, dass wir den Vorrat von mehreren Monaten an Strom speichern müssten.

Das ist ein Trugschluss. Warum zeige ich dir in dieser Ausgabe – die hoffentlich auch für dich eine Argumentationshilfe in Debatten auf Social oder beim kommenden Weihnachtsfest ist.

Let’s go!

Wo der schwäbische Hausmann daneben liegt: Deutschland muss keinen Jahresbedarf an Strom speichern

Deutschland verbrauchte im vergangenen Jahr 517 Terrawattstunden (TWh) Strom brutto, also vor Eigenbedarf von Kraftwerken und Netzverlusten. Das ist eine gewaltige Menge Strom.

Sie wirkt geradezu unmöglich, wenn wir den geplanten Speicherzubau in Deutschland daneben legen. Obwohl dieser zurzeit rasant wächst, wären es selbst nach einer Vervierfachung vom Jahr 2023 aus nur 0,0086 TWh.

Das ist eine „Lücke“ von nahezu 100 Prozent… die doch jedem vernünftigen Menschen zeigen müsse, dass die Energiewende eine Schnapsidee sei. So jedenfalls geht ein beliebtes, aber falsches Argument.

Ich nenne es das Gesetz des schwäbischen Hausmanns: Postest du zum Speicherausbau, antwortet immer irgendjemand, dass das viel zu wenig sei.

Bei mir zum Beispiel hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier. (Alle Links führen in die Kommentarspalte von Twitter. Draufklicken auf eigene Gefahr.)

Ich nenne das Gesetz so, weil diese Argumentation auf einer falschen Analogie basiert.

So wie ein Staat durchaus mehr Geld ausgeben kann als er einnimmt und damit das Budgetverständnis der berühmten schwäbischen Hausfrau widerlegt, so kann ein kontinentales Energiesystem nur einen Bruchteil des Jahresbedarfs speichern und trotzdem zuverlässig und resilient sein. Es funktioniert anders als ein Heizöltank im Stuttgarter Speckgürtel.

Deutschland muss nicht seinen gesamten Jahresbedarf an Strom speichern. Es braucht noch nicht einmal seinen gesamten Bedarf für einen Monat in den Speichern.

Woher das Missverständnis kommt

Ich hatte es schon angedeutet. Wer ohne weitere Recherche über unser Energiesystem nachdenkt, muss zu ihm bekannten Analogien greifen, um es beschreiben zu können. Die mächtigste Analogie, die sich Nicht-Experten anbieten, sind der Öltank und der Akku. Beide haben gemein, dass sie Energie speichern – und dass sie auch mal komplett leer sein können.

Aber ein kontinentales Energiesystem ist kein Handyakku. Es ist niemals „voll“ und niemals „leer“. Die Analogie führt in die Irre.

Die interessante Frage ist, warum die falsche Analogie überhaupt verfangen konnte.

Es ist eigentlich offensichtlich, dass das Energiesystem mit seinen länderübergreifenden Stromnetzen, Gas-Terminals, Millionen kleinen Solarproduzenten, Windparks und Dutzenden Großkraftwerken anders funktionieren muss als die Heizung im Eigenheim.

Es rührt aus einer übertriebenen und von fossilen Lobbyisten (u.a. vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft) gezielt geschürten Angst vor der sogenannten Dunkelflaute. Das ist eine Zeit, in der wochenlang nicht viel Wind weht und die Sonne kaum scheint.

Aber auch Hans-Werner Sinn, der ehemalige Chef des Ifo-Instituts, berühmt für seine Quatschstudie zu E-Autos, mischte mit.

Er hat den deutschen Speicherbedarf berechnet und anstatt viele Worte zu verlieren, reicht eine Grafik, um seine Rechnung einzuschätzen. Die blaue Linie zeigt den Sinn’schen Speicherbedarf, die anderen Datenpunkte den Speicherbedarf aus weiteren Studien.

Wer könnte hier denn wohl daneben liegen? Kannst du es erkennen?

Quelle: DIW, PDF, S.5

Was wirklich stimmt

Dunkelflauten aller Art dauern selten so lang wie angenommen. Die längste Dunkelflaute der letzten Jahre hielt 334 Stunden an, fast zwei Wochen. Am Tiefpunkt lieferten Sonne und Wind damals im Jahr 2017 kaum ein Gigawatt Leistung.

Nehmen wir etwas Puffer dazu, sagen wir, die nächste längste Dunkelflaute dauert drei Wochen. Was wird in dieser Situation helfen?

  1. Speicher – Wichtig ist hier, nicht nur auf die bekannten Batteriespeicher zu schauen. Wärmespeicher, Pumpspeicherkraftwerke und in Zukunft auch molekülbasierte Speicher müssen bereitstehen. Es braucht Speicher über alle relevanten Zeiträume hinweg.

  2. Ein starkes europäisches Stromnetz – Vielleicht herrscht in der Nordsee Flaute während im Atlantik der Wind tost. Wetter ist lokal begrenzt und im Falle von Dunkelflauten könnten andere Länder Produktionskapazitäten haben. Dafür allerdings müssen zwingend mehr Stromleitungen in Europa gebaut werden.

  3. Flexible Nachfrager – Abgaben und Steuern auf Strom und Netze so designen, dass belohnt wird, wer das Netz entlastet während Dunkelflauten.

  4. Neutral designte Kapazitätsmärkte – Der Staat kann all jene belohnen, die im Zweifel Strom liefern können. Dafür kann er eine Prämie zahlen. Wichtig im Sinne der Energiewende wäre aber diese Märkte so zu entwerfen, dass fossile Kraftwerke nicht bevorteilt werden. (Genau das monieren die Erneuerbaren-Verbände in Deutschland.)

Renommierte Forscher beziffern den gesamten Batteriespeicherbedarf Deutschlands auf bis zu 600 GWh im Jahr. Aber selbst das ist nur ein Bruchteil des gesamten jährlichen Nettostromverbrauchs der Republik, weniger als 20 Prozent.

Aber einen wahren Kern hat das Speicherbedarf-Missverständnis natürlich. Dunkelflauten sind der Stresstest für ein erneuerbares System. Aber wenn sie ihn überstehen, überstehen sie alles.

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Das ist möglicherweise aus der Kategorie „Zu gut, um wahr zu sein“. Niedlich ist es trotzdem: Schafe, die auf Solarfarmen grasen, könnten bessere Wolle produzieren.

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