Das Killerfeature der neuen Batterie-Großspeicher

Sie sind ein bisschen langsamer – und das ist gut.

Hi Cleantechie!

Dieser Newsletter gibt dir jede Woche in 5 Minuten den Überblick über die wichtigsten Unternehmen, Forschungsdurchbrüche und Trends der Branche.

Die Recherche für diesen Newsletter begann mit einem genervten Seufzer, als ich wieder einmal eine fantastische Statistik über Batteriespeicher entdeckte, aber eine wirklich wichtige Zahl fehlte und endete mit ein paar interessanten Einsichten über Großspeicher.

Let’s go!

Was die neue Generation von Netzspeichern ausmacht

Wir erleben einen Speicher-Boom. Die Zahl der Heimspeicher, Batteriespeicher in E-Autos und netzdienlicher Großspeicher wächst exponentiell.

Um dieses Wachstum vermessen zu können, schauen Analysten auf die Zubau-Summen und Wachstumsraten dieser Speicher. Dabei erstellen sie famose Charts wie diesen hier für Großspeicher in den USA:

Quelle: Cipher

Wir sehen: Seit dem Jahr 2020 haben die USA etwas mehr als 20 Gigawatt netzdienlicher Speicherleistung installiert.

Das ist eine beeindruckende Zahl, aber auch Grund für meinen genervten Seufzer. Denn jedes Mal, wenn ich einen Chart wie diesen auf Social Media teile, merkt jemand an, dass dieser Chart an sich nutzlos sei.

Begründung: Die Zahl Gigawatt (GW) sagt uns nur etwas über die Leistung der Batteriespeicher aus, aber nicht darüber, wie lange diese Leistung theoretisch erbracht werden kann. Es fehle also eine Angabe zur Kapazität, in diesem Fall in Gigawattstunden (GWh).

Um meinen genervten Seufzer zu verstehen, musst du wissen: Die Anmerkung ist korrekt – und auf Fehler hingewiesen zu werden, derer man sich selbst bewusst ist, gehört ins absolute Kontra-Kästchen, jedenfalls meiner nervlichen Duldsamkeitsspanne.

Aber schau bitte auf die Datenquelle des Charts. Wieso kann die Energy Information Administration der Vereinigten Staaten von Amerika mit einem Jahresbudget von 135 Millionen Dollar keine nützliche Statistik erstellen?

Was ist da los?

Die möglichen Antworten auf diese Frage sind sehr interessant, weil sie uns etwas über die Bewegung im aktuellen Großspeichermarkt lehren, was Fachleuten bewusst ist, aber nicht der breiteren, interessierten Öffentlichkeit:

  1. Großspeicher werden noch viel billiger werden, als wir anhand jetziger Batterie-Entwicklungen annehmen können.

  2. Viele Länder bauen mit zunehmendem Erneuerbaren-Ausbau tendenziell andere Arten von Großspeichern als früher.

  3. Aber in Deutschland werden aktuell nicht die gleichen Speicher wie in den USA oder in Italien gebaut.

Um zu verstehen, warum, kommen wir nicht um einen Mini-Crashkurs über Kennzahlen und Geschäftsfelder von Speichern herum.

Drei wichtige Kennzahlen eines Speichers

  • Leistung: Wie schnell ein Speicher Energie aufnehmen und wieder abgeben kann. Heimspeicher bewegen sich im Kilowatt-Bereich, Marktspeicher im Megawatt-Bereich und ganze Energiesysteme im Gigawatt-Bereich.

  • Kapazität: Wie viel Energie ein Speicher insgesamt aufnehmen kann. Typische Einheit für Heimspeicher: Kilowattstunden, für Großspeicher: Megawattstunden.

  • C-Rate: das Verhältnis zwischen Lade-/Entladeleistung und Kapazität. Bei 1C wird die Batterie in einer Stunde vollständig geladen oder entladen, bei 0,5C in zwei Stunden usw.

Du kannst Batterien mit einem Wassergefäß vergleichen. Ein 10-Liter-Kanister Wasser hat die gleiche Kapazität wie ein 10-Liter-Eimer. Dieser aber hat durch seine größere Öffnung eine größere Leistung als der Kanister; es kommt mehr Wasser heraus, wenn ich ihn umkippe. Die C-Rate wiederum ist beim Eimer auch höher als beim Kanister mit seiner kleineren Öffnung; es geht schneller, ihn wieder zu befüllen.

Wozu wir Großspeicher brauchen (und wie sie dabei Geld verdienen)

  • Alle Arten von Netzdienstleistungen: Großspeicher können dabei helfen, die Netze zu stabilisieren. Sie können etwa Frequenzen und Spannungen halten oder das Netz nach einem Blackout wieder aufbauen.

  • Spitzenlastmanagement für große Verbraucher: Du betreibst eine große Fabrik. Du hast Lastspitzen, zum Beispiel, wenn deine Produktionsanlagen anfahren. Eigentlich müsstest du dafür höhere Netzentgelte zahlen, weil diese sich auch an der höchsten bezogenen Leistung orientieren. Deswegen kann es sich lohnen, solche Lastspitzen mit einem eigenen Speicher abzufangen. Das heißt Peak Shaving.

  • Eigenverbrauchsoptimierung: Ist die eine Anwendung, die alle kennen. Strom mit PV produzieren, Strom einspeichern und dann nutzen, wenn die Sonne nicht mehr scheint.

  • Arbitrage – direkter Stromhandel: Firmen wie Ecostor oder Fluence betreiben eigene Batteriespeicher, mit denen sie Preisunterschiede am Strommarkt ausnutzen. Sie speichern ein, wenn es billig ist und speichern aus, wenn es teuer ist – etwa, wenn eine große Fabrik ohne Speicher ihre Produktionsanlagen gerade hochfährt.

  • Kapazitätsmärkte: Du bekommst Geld dafür, eine bestimmte Menge Kapazität rund um die Uhr bereitzuhalten und in Notfällen einzusetzen.

Warum wir heute andere Großspeicher als noch vor zwei Jahren bauen

Eine Batteriespeicher-Landkarte Deutschlands zeigt uns, dass aktuell vor allem Speicher mit einer C-Rate von 1C laufen, d.h. sie können ihre Leistung oft nur eine Stunde lang abliefern.

Quelle: Ecostor / Interaktive Version der Karte 

Das reicht völlig aus, weil viele von ihnen vor allem dazu dienen, extrem schnell innerhalb von wenigen Sekunden auf Frequenzänderungen reagieren zu können. Sie liefern Primärregelleistung und das von Jahr zu Jahr mehr, wie diese Auswertung zeigt (FCR ist die englische Abkürzung):

Aber ein Blick auf die Liste geplanter Batteriespeicherkraftwerke macht deutlich: Immer mehr Speicher sollen ans Netz gehen, die in einem anderen Markt als der Primärregelleistung operieren.

Sie sind größer und können ihre Spitzenleistung deutlich länger als eine Stunde abliefern. Diese Speicher werden vor allem für den direkten Handel mit Strom eingesetzt, bei dem es darum geht, auch mal im Stundenbereich morgens und abends einzuspeisen.

Ein Vergleich zu den anderen großen Batterie-Speicherkapazitäten in Deutschland zeigt, dass sich der Markt der Batteriespeichersysteme gerade immer weiter ausdifferenziert.

Denn eine E-Auto-Batterie etwa sollte deutlich schneller be- und entladen werden können als ein dezidierter Speicher für Stromhandel, weil man ja auch möchte, dass es einen Unterschied macht, wie fest man aufs Gaspedal drückt. Ein Heimspeicher wiederum ist mit 1C gut ausgestattet – jedenfalls, wenn man nicht gerade nachts an Fusionsreaktoren im Wohnzimmer werkelt; für diese Lastspitze könnte es dann doch nicht reichen.

Dass sich der Markt für Batteriespeicher dermaßen ausdifferenziert, erlaubt uns, einen Schluss für die Zukunft zu ziehen: Speicher, die vor allem dazu dienen, über lange Zyklen hinweg zu laden und zu entladen (niedrige C-Rate), werden noch einmal deutlich billiger als heute. Denn bisher setzen vor allem Anwendungen mit hoher C-Rate die Speicherstandards (E-Autos, Netzdienstleistungen im Sekundenbereich).

Aber je größer der Markt für große Netzspeicher wird, desto mehr lohnt es sich, in spezialisierte Großspeicher-Designs und -Zellchemien zu investieren, mit denen sich Ressourcen einsparen lassen.

Warum die USA und Italien größere Speicher als Deutschland haben

Einem meiner findigen Follower auf Mastodon fiel zudem auf: Die Batteriespeicher in den USA können bereits heute oft vier Stunden lang ihre Leistung abgeben. Das schafft kein deutscher Batteriespeicher – was uns zurzeit ja akut absturzverängstigte Nation aber nicht noch tiefer in die Krise schieben braucht.

Denn Teile der USA haben genauso wie andere Länder (Italien, GB, Polen, Belgien) einen Kapazitätsmarkt, der das Vorhalten auch größerer Reserven belohnt. Das heißt: 4h-Speicher auf Lithium-Ionen-Basis baut derzeit niemand in Deutschland, weil es sich nicht lohnt.

Hätte Deutschland einen ähnlich strukturierten Kapazitätsmarkt wie die USA, hätte es auch ähnlich große Batteriespeicher.

Das ist ein interessanter Fakt, weil sich Deutschland gerade mitten in einer heftigen Debatte um einen Kapazitätsmarkt befindet. Ein Konfliktpunkt ist, welche Rolle Gaskraftwerke („H2-ready“…) bei der zukünftigen Versorgung spielen sollen.

Kritiker befürchten, dass die fossilen Kraftwerke qua Gesetz Batteriespeichern vorgezogen werden, obwohl diese prinzipiell die gleiche Versorgungssicherheit liefern könnten. Vier Stunden und mehr sind drin – wenn es sich denn lohnen würde.

Wieso Leistung und Kapazität auf jeden guten Batterie-Chart gehören

Ich denke, inzwischen ist dir klar, warum ich jedes Mal genervt seufze, wenn ich wieder einen Chart sehe, auf dem nur die Leistung, nicht aber die Kapazität angegeben ist.

Die Zukunft von Batteriespeichern können wir nur verstehen, wenn wir beide Zahlen präsent haben. Deswegen geben Projektierer auch immer beide Zahlen an.

Und deswegen – so meine Vermutung – fehlt die Kapazität bei vielen größeren Analyseinstituten noch heute: Sie mussten bisher nicht so viel über die Zukunft von Batteriespeichern nachdenken, weil sie vor allem über die Zukunft von Gas- und Kohlekraftwerken nachgedacht haben.

Bei den fossilen Stinkern allerdings ist Kapazität kein interessanter Wert: Du schiebst einfach beständig Kohle, Öl und Gas nach. Woher diese Kohle, dieses Öl und dieses Gas genau kommt und was es anrichtet, hat die Menschheit zu lange nicht interessiert.

Insofern ist „Kapazität“ nicht nur eine Zahl mehr in einer Kraftwerksstatistik – sondern eine kleine Revolution.


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Rico Grimm

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