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Wie viel Speicherkapazität Deutschland brauchen wird

Und wofür eigentlich.

Hi Cleantechie!

Dieser Newsletter gibt dir jede Woche in 5 Minuten den Überblick über die wichtigsten Unternehmen, Forschungsdurchbrüche und Trends der Branche.

In den letzten Wochen habe ich ihn schon hier und da angedeutet, heute beginnt der Schwerpunkt zu Energie-Speichern. Ich werde im Laufe der nächste Monate immer wieder einzelne Fragen und Aspekte dieses Thema herausgreifen und dabei auch tief ins Detail gehen.

Heute zoome ich heraus und stelle Fragen, durch die wir schon viel über Speicher lernen können: Wie viel Speicherkapazität brauchen wir in Deutschland, damit die Energiewende gelingt? Und wofür eigentlich? Du wirst sehen: Schon diese Fragen haben ein, zwei kleine Fallstricke.

Wenn du Fragen, Anmerkungen oder Hinweise hast, kannst du mir jederzeit auf diese Mail antworten. Ich freue mich, von dir zu hören!

Let’s go!

Der Speicher-Überblick für Deutschland: Warum, wie viel und was haben wir eigentlich schon

Warum wir Speicher brauchen

  • Ohne Speicher kann die Energiewende nicht gelingen.

  • Was Speicher leisten, fasst der Weltklimarat in seinem jüngsten Report zusammen: „Energiespeichertechnologien machen kohlenstoffarme Elektrizitätssysteme kosteneffizienter“.

  • Das geschehe hauptsächlich auf vier Wegen. Gibt es viele Speicher, braucht es weniger alternative und oft teure CO₂-arme Energieerzeugung (z.B. Wasserstoffkraftwerke). Außerdem muss laut IPCC weniger in Netzausbau, Transport oder Reserven investiert werden.

  • Speicher können die Leistung erneuerbarer Energien verlängern, in dem sie in Phasen hoher Produktion Strom aufnehmen und sie in Phasen niedriger Produktion wieder abgeben.

  • Das kann grundsätzlich im Sekundenbereich genauso geschehen wie im Monatsbereich. Dort sprechen wir von Jahreszeitspeichern.

  • In der Vergangenheit glichen Speicher vor allem Netzschwankungen im Sekundenbereich aus, dem Bereich der Primärregelenergie. Immer öfter sehen wir sie aber laut einer aktuellen Studie von Fraunhofer ISE auch im nachgelagerten Bereich ab 30 Sekunden (sogenannte Sekundärregelenergie und Minutenreserve).

  • Batteriespeicher können so Preisspitzen im Markt abfangen, die in einem erneuerbaren System höher sind. In einer Untersuchung geht das Beratungsunternehmen Frontier Economics davon aus, dass der Effekt in der Spitze bis zu 60 Euro für die MWh betragen kann (Vergleich rote und blaue Linie in der Grafik).

Quelle als PDF

  • Im Falle eines Blackouts können Speicher zudem kritische Infrastruktur mit Strom versorgen und dabei helfen, Kraftwerke wieder hochzufahren (Schwarzstart).

  • Speicher sind die Schweizer Taschenmesser der Energiewende, weil sie so viele verschiedene Funktionen erfüllen können.

Welche Speicher wir brauchen

Es gibt keine Speichertechnologie, die alle Funktionen gleichzeitig erbringen kann.

Das ist der Fallstrick, den ich in der Einleitung angedeutet habe.

Denn ich habe in den letzten Monaten zum Beispiel diesen Chart der New York Times immer wieder gesehen. Er veranschaulicht, wie Batterien (orange) im kalifornischen Stromnetz Gaskraftwerke (grau) verdrängen.

(Zugegeben: Ich habe ihn unter anderem auch deswegen so oft gesehen, weil ich ihn selbst hier im Newsletter hatte 😉)

Oder natürlich auch diese schmucke Grafik, ganz frisch, die zeigt, dass sich die großen Analysten bei ihren Zubau-Prognosen für Batterien genauso verschätzen wie bei der Solarkraft.

Hinweis: Die Einheit sind hier Gigawatt, nicht Gigawattstunden.

Batteriespeicher bekommen Aufmerksamkeit und sie sind die Hauptstory, sie sind aber nicht die einzige wichtige Story.

Wäre der Speichermarkt ein Fantasy-Roman, dann wäre er eher Game of Thrones als Herr der Ringe: alles ein bisschen chaotisch, viele Protagonistengruppe, alle mächtig und relevant anstatt der einen kleinen Truppe von neun Gefährten, die nur ein Ziel hat.

Wollen wir das Energiesystem der Zukunft optimal fahren, werden wir einen Mix verschiedener Speichertechnologien einsetzen müssen – von den kleinen Schwungradspeichern, die kurzfristig und schnell Schwankungen im Stromnetz ausgleichen können bis hin zu gewaltigen, unterirdischen Wärmespeichern, die das ganze Jahr über (Heiz-)Energie abgeben können.

Wenn wir auf Speicher und die Energiewende schauen, hilft es also tatsächlich technologieoffen zu bleiben – anders als bei anderen Schlüsselfragen der Energiewende. (Jup, ich meine E-Fuels im Straßenverkehr.) Die Bundesregierung teilt den Speichermarkt in ihrer Strategie deswegen in Strom-, Wärme- und Wasserstoffspeicher auf und dieser Aufteilung sollten wir folgen.

Eine der spannendsten Fragen des großen Speicherausbaus wird deswegen sein, wo sich welche Arten von Speichern für welche Zwecke durchsetzen werden.

Denn vielleicht braucht der eine deutsche Mittelständler in der Papierindustrie in seiner täglichen Produktion vor allem Prozesswärme um die 200 Grad Celsius während der Logistik-Dienstleister nebenan, seine Lkw auch in den Nachtstunden mit billigem Sonnenstrom vom Firmendach vollladen will und deswegen auf eine Batterie setzt.

Es ist also sinnvoll, nicht nur elektrische Speicher aller Art zu betrachten, sondern etwa auch direkte Wärmespeicher. Denn die Hälfte der Endenergie in Deutschland brauchen wir für Wärme. Konkret: Industriewärme macht aktuell 23 Prozent des deutschen Endenergiebedarfs aus. Wärme zum Heizen von Gebäuden wiederum 28 Prozent.

Im jüngsten IPCC-Report findest du einen guten Überblick über die verschiedenen Speicherarten und was sie beitragen können.

Ich bleibe jetzt aber erst einmal der Hauptstory treu und fokussiere mich weiter auf Batteriespeicher.

Wie viel Batterie-Speicherkapazität Deutschland brauchen wird

Eines vorweg: Alle Zahlen, die in diesem Abschnitt folgen, beruhen auf Annahmen. Diese Annahmen sind begründet, aber am Ende bleiben die Zahlen Schätzungen.

Mir ist es wichtig, das zu erwähnen, weil Schätzungen im Energiesektor notorisch unverlässlich sind. Wir unterschätzen, wie viel Solarkraft zugebaut wird, überschätzen, wie viele LNG-Terminals Deutschland wirklich braucht und bspw. für Wasserstoff schwanken die Bedarfsschätzungen um den Faktor acht.

Fraunhofer fasst die Summe aller Szenarien so zusammen:

Langfristig werden in Deutschland etwa 200 bis 600 GWh an Batteriespeichersystemen benötigt.“

Sie kommen zu dem Ergebnis auf Basis mehrerer Studien, sowohl eigener als auch Untersuchungen der Netzbetreiber (in der Grafik „TSO“) sowie des Bundesverband Erneuerbarer Energien (BEE).

Interessant: Die Szenarien der Bundesregierung lassen sich eher am unteren Ende der Schätzung finden. Im aktuell verabschiedeten Netzentwicklungsplan (PDF, S. 39) geht die Bundesregierung davon aus, dass der deutsche Bedarf bis zum Jahr 2037 auf 24 GW / 61 GWh und bis zum Jahr 2045 auf 55 GW / 136 GWh steigt.

Wie viele Speicher Deutschland gerade hat

Deutschland kann zurzeit laut dem Fraunhofer-Institut ISE circa 45 GWh Elektrizität speichern.

Einen großen Anteil an diesen Reserven machen Pumpspeicherkraftwerke aus. Sie stellen laut Bundesregierung circa 24 GWh, also mehr als die Hälfte, können aber kaum ausgebaut werden, weil es kaum noch geeignete Standorte in Deutschland gibt.

Stand ich als Kind mit offenem Mund davor: die mächtige Bleilochtalsperre im Thüringer Wald. Teil der Saale-Kaskade. Foto: Vattenfall.

Den anderen Löwenanteil der Speicherkapazität stellen Batterien.

Vor allem Kleinspeicher (hellblau) sind bisher die heimlichen Stars am Markt. Sie dienen vor allem der Eigenversorgung und erbringen weniger sogenannte netzdienliche Leistungen.

Bemerkenswert ist, dass Batteriespeicher schon heute mehr Leistung (7 GW) ans Netz bringen können als die Pumpspeicherkraftwerke (6 GW).

In den nächsten Jahren dürfte sich zudem das Verhältnis von Heim- zu Großspeichern ändern. Das zeigen die Zahlen der Bundesnetzagentur zum geplanten Zubau.

Mehr als 2 GWh Großspeicher (dunkelblau) wurden schon angemeldet. Die wahre Zahl dürfte höher sein, da hier nur tatsächliche Eintragungen im Marktstammdatenregister gezählt werden, sich aber mehr Großspeicher in Planung befinden dürften.

Wo diese Speicher gebaut werden, ist auch eine interessante Frage, da alte Energieinfrastruktur genutzt werden kann für die neue. Mit Blick auf den lahmen Netzausbau ist das eine clevere Taktik.

Vor allem ehemalige Standorte von Kohle- und Atomkraftwerken sind besonders gute Standorte für Speicher, weil es dort bereits die Netzanschlüsse und das Fachpersonal gibt.

„In Baden-Württemberg beispielsweise stehen 10,2 Gigawatt Anschlussleistung an ehemaligen Kraftwerkstandorten zur Verfügung, damit könnten alle für 2030 berechneten stationären Batteriespeicher mit 8,7 Gigawatt Leistung angeschlossen werden“, sagte Bernhard Wille-Haussmann dem MDR.

tl; dr - Was du mitnehmen kannst

  • Speicher sind das Schweizer Taschenmesser für die Energiewende.

  • Wir brauchen verschiedene Speichertechnologien für Strom, Wärme und Wasserstoff.

  • Vor allem Batteriespeicher werden in immer größerem Tempo zugebaut.

  • Im extremen Fall muss sich die Batterie-Speicherkapazität bis zum Jahr 2045 mehr als verzehnfachen.

  • Speicher an ehemaligen Kraftwerksstandorten machen Sinn.

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🏠️ Hier ist das Problem: Du bist auf einer Architekten-Party in Small Talk verwickelt und dann tropft das Gespräch langsam aus und Stille kehrt ein (die peinliche Variante von Stille).

Du könntest a) grußlos die Runde verlassen, was unhöflich ist oder b) in einem für deine Reputation durchaus riskanten Move diesen herrlich nutzlosen Fakt einflechten und hoffen, das er etwas auslöst: Das erste Passivhaus in Nordamerika steht in einem Deutschlern-Sommercamp in Minnesota, USA. Das Camp heißt „Waldsee“ und das Gebäude heißt „Das Biohaus“.

Welche Option wählst du? 😅

(Ich zeige dir in der nächsten Ausgabe das Ergebnis.)

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Rico Grimm

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