Der Batterie-Rohstoff-Trugschluss

Vielleicht können wir bald die Minen schließen.

Hi Cleantechie!

Dieser Newsletter gibt dir jede Woche in 5 Minuten den Überblick über die wichtigsten Unternehmen, Forschungsdurchbrüche und Trends der Branche.

Auf diese Ausgabe habe ich mich seit Wochen gefreut. Denn heute tauchen wir tief ein in eine Untersuchung, die für meinen Geschmack zu wenig Schlagzeilen bekommen hat und wir tauchen wieder auf mit einer frivolen Prognose: Im Jahr 2050 haben wir genügend Rohstoffe für alle Batterien der Zukunft.

Diese Ausgabe über den Batterie-Rohstoff-Trugschluss schließt sich nahtlos an einen meinen Post über das Primärenergie-Missverständnis. So langsam wird eine Serie daraus 😉 

In den guten Links ein Mini-Blick auf die Folgen der Landtagswahlen für den Windradausbau in Thüringen und Sachsen.

Let’s go!

Der Batterie-Rohstoff-Trugschluss

Eine neue Untersuchung (PDF) des Rocky Mountain Institute (RMI) sagt, dass die Menschheit im Jahr 2050 aufhören könnte, Batterie-Rohstoffe aus der Erde zu holen. Das kann gelingen, weil Batterien leistungsfähiger werden, weniger wertvolle Metalle benötigen und die Recycling-Quote steigt.

Ich habe das neutral formuliert, aber wenn du ein Kribbeln beim Lesen gespürt hast, dann zu Recht. Die Untersuchung zeigt, dass eine weit verbreitete Annahme nicht stimmt. Es gibt genug Rohstoffe für Energiewende und Voll-Elektrifizierung. Mehr noch: Wir können in ein paar Jahrzehnten die Minen schließen.

Das ist eine aufsehenerregende Prognose. Deswegen beugen wir uns in dieser Ausgabe über diese Untersuchung.

Dieser Kontext ist wichtig

  • Im Jahr 2022 war eine der meistdiskutierten Fragen der Energiewende, ob wir genug Rohstoffe für die PV-Module, Windräder und Batterien haben (bspw. IEA oder hier).

  • Der Börsenpreis für Lithium, Kobalt, Nickel und andere wichtige Batterie-Metalle wie Mangan oder Grafit explodierte 2022. Lithium verteuerte sich um 440%. Die Erwartung damals war, dass es dauerhaft zu wenig Rohstoffe geben wird und die Preise hoch bleiben.

  • Die Rohstoffpreise und die Batteriepreise sind stark gefallen. Die Welt kann nun viermal so viele Batterien herstellen, wie aktuell benötigt.

  • Ein Grund: Minenunternehmen haben Milliarden in den Ausbau der Förderung investiert.

  • Die beste Mine ist die, die niemals eröffnet wird. Trotz Fortschritten in der Bergbauindustrie gibt es keine „grünen Minen“. Bergbau ist immer eine Umweltkatastrophe. Die Frage ist nur, wie groß die Katastrophe ist. Zudem hat keine andere Branche so viele Konflikte mit Ureinwohnern oder Ortsansässigen.

  • Beispiel: In Serbien will das australische Bergbauunternehmen Rio Tinto eine Lithium-Mine eröffnen. Dagegen protestierten diesen Sommer Zehntausende Menschen.

  • Firmen und Staaten untersuchen, welche Rohstoffe sich vom Meeresgrund gewinnen lassen. Die Umweltfolgen des Deep Sea Mining sind unklar.

Warum wir bald die Minen schließen könnten

Die Prognose von RMI ist erstaunlich, weil sie die Debatte über den Batteriemarkt auf den Kopf stellt. Klar war bisher: Die Nachfrage nach Batterien wird explosiv steigen, sodass es schwierig wird, sie komplett zu decken.

Im moderateren Szenario wird sich der globale Bedarf mindestens versechsfachen (linke Grafik). Solche Zahlen ließen Elon Musk zu der Feststellung kommen, dass „Batterien das neue Öl“ seien.

Die RMI-Forscher sagen aber: „Die Nachfrage steigt nicht explosiv genug. Im Hintergrund passiert etwas, das unsere Aufmerksamkeit verdient.“ Sie argumentieren, dass der Bedarf für manche Metalle heute doppelt so hoch wäre, wenn sich Batterietechnologie und Mobilität nicht weiter entwickelt hätten.

Das RMI kommentiert trocken: „Batterien sind nicht das neue Öl.“

Schon allein, weil Verbrennermotoren jährlich 2150 Millionen Tonnen Rohöl verbrauchen, das ist 17-mal die Menge an Batterie-Rohstoffen, die wir für den Verkehrssektor benötigen, um ihn für immer zu versorgen.

Würden wir genauso viele Batterie-Rohstoffe abbauen wie wir Öl fördern, könnten wir elektrische Verkehrssysteme auf allen Planeten des Sonnensystems und darüber hinaus aufbauen.

Die Rohstofflage spräche also nicht gegen Teslas auf dem Mars. Wobei manche ja lieber den Tesla-Gründer selbst auf dem Mars sehen würden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Nachfrage nach neuen Batterie-Mineralien lässt sich auf sechs Arten drücken.

  1. Wir verändern die Batterie-Chemie. Ganz simpel. So kann nicht nur Lithium Strom speichern, sondern auch das billigere, verbreitete Natrium. In China läuft bereits der erste Natrium-Ionen-Großspeicher. Zellchemien, die auf Lithium setzen, aber Eisenphosphat statt Kobalt und Nickel verwenden, können außerdem helfen. Diese sogenannten LFP-Batterien haben den globalen Nickel-Bedarf bereits um 25 Prozent gesenkt.

  2. Wir bauen bessere Batterien, die mit weniger Material mehr Energie speichern können. Das Fachwort dafür ist Energiedichte. Sie nimmt seit Jahren zu, beschleunigt seit 2020, wie diese Grafik zeigt.

  3. Wir sammeln mehr alte Batterien ein und recyceln sie besser. In den sozialen Medien kursiert die falsche Behauptung, nur fünf Prozent aller Batterien würden recycelt. Laut Circular Energy Storage sind es heute knapp 90% aller Lithium-Ionen-Batterien. Und die Zahl wird steigen. China schreibt schon heute vor, ähnlich wie die EU, dass jede Batterie wieder eingesammelt und verwertet werden muss. Aus diesen Batterien lassen sich bis zu 95% aller Materialien wieder gewinnen.

  4. Wir nutzen alte Batterien länger. VW will die ausgebauten Speicher seiner E-Autos für eigene Kraftwerke nutzen, Startups wie Voltfang arbeiten auch an Zweitnutzungs-Konzepten.

    Die Analysten von Bloomberg NEF mussten zudem in den vergangenen Jahren ihre Prognosen nach oben schrauben: Batterien halten zwei Jahre länger als gedacht und auch die Speicher gebrauchter E-Autos überraschen immer wieder. Sie halten länger als zunächst angenommen.

  5. Fahrzeuge werden effizienter. Viele heutige Fahrzeuge sind verkappte Verbrenner mit einer Batterie. Sobald Wagen speziell für Batterien designt werden, lassen sie sich effizienter betreiben. Beispiel: Der 2022 EQXX, ein Konzeptfahrzeug von Mercedes, ist 87 Prozent effizienter als ein Tesla Model 3. Letztlich nützt aber das beste Design nichts, wenn unsere Autos größer werden. Wollen wir ins Batterie-Rohstoff-Nirvana, müssen viele SUVs verschwinden. Technik kann nicht alles lösen.

  6. Fahrzeuge verschwinden. Die Forscher sehen einen letzten Schlüssel in anderer Mobilität: weniger Autos, mehr ÖPNV, mehr Fahrräder, mehr elektrische Mikromobilität wie Roller und Scooter – und mehr Fußgänger. Ihre Prognose ist hier denn auch am wackligsten. Denn während es bei der Zellchemie reicht, nun ja, die Zellchemie zu ändern, bräuchten die Veränderungen einen breiten politischen Konsens in Regierung und Gesellschaft. Davon ist, jedenfalls in diesem Deutschland, nicht auszugehen.

Alle sechs Hebel, die ich dir vorgestellt habe, betätigten wir gerade.

Wir bräuchten heute mehr als doppelt so viel Kobalt wie 2015, wenn sich Energiedichte, Batteriechemie und Recyclingrate nicht verbessert hätten.

Wenn die Menschheit auf allen sechs Feldern kontinuierlich Fortschritte erzielen würde, würde sie in den frühen 2030er Jahren die Lithium-Nachfrage-Spitze erreichen. Ab diesem Jahr ginge es dann kontinuierlich und bis in alle Ewigkeit abwärts.

Das ist eine fantastische Nachricht, weil unsere Kinder, Enkel und Urenkel sich nicht mehr auf Twitter und LinkedIn mit Fremden über Lithium-Minen in Bolivien prügeln müssten. Unsere Kinder sollen es mal besser haben. Sie werden es mal besser haben. Jedenfalls in dieser Hinsicht.

Der letzte Chart aus dem Report fasst alles zusammen: Die farbigen Balken zeigen die bekannten Reserven der Rohstoffe, die kleineren Balken daneben die erwartete Nachfrage.

Die Schlussfolgerung ist eindeutig: Es gibt genug Lithium, Kobalt und Nickel für die Energiewende. Wer glaubt, die Energiewende scheitert an Rohstoffen, irrt.

Ähnlich sieht das Robin Zeng, Gründer des chinesischen Batteriepioniers CATL. Er sagte, dass China im Jahr 2042 seinen gesamten Bedarf an Batterie-Rohstoffen gedeckt habe. 2042, China, gesamter Bedarf – wann kommt so etwas in den großen Medien an?

🍏 Was ich denke

In diesem Abschnitt gebe ich dir meine persönliche Einschätzung. Dabei übersehe ich zwangsläufig Dinge. Deswegen freue ich mich über Hinweise und Kritik. Lob nehme ich auch. Antworte mir direkt auf diese Mail oder besuche die Kommentarsektion.

Wenn das RMI mit seiner Prognose recht behält, würde das zwei Dinge bedeuten:

Es wäre ein Meilenstein der Zivilisationsgeschichte. Seit der Industrialisierung nimmt die Menschheit mehr vom Planeten, als sie zurückgibt. Kein großer Industriezweig läuft in ökologischer Balance. Vielleicht kann die Batterieindustrie diesem Ideal so nah wie kein anderer Industriezweig kommen – zumindest, was den reinen Ressourcenverbrauch angeht.

Die Energiewende wird leichter als gedacht. In meinem Post über den Primärenergie-Trugschluss zeigte ich dir bereits, dass wir überschätzen, wie schwer die Energiewende wird, weil wir unterschätzen, wie viel Energie wir durch Elektrifizierung sparen. Gleiches gilt für die Batterie-Rohstoffe. Wir müssen nicht ewig Zeug aus der Erde holen. Sisyphus darf Pause machen.

Aber dieses Szenario ist kein Selbstläufer (sind zivilisatorische Meilensteine ja eh selten). Die RMI-Forscher skizzieren einen plausiblen techno-ökonomischen Pfad mit vielen versteckten Bedingungen.

Beispiel: Recycling lohnt sich noch nicht überall. Erst wenn frische Mineralien aus den Minen deutlich teurer wären als recycelte, wäre ein Net-Zero-Szenario plausibel. Um Kostenparität zu schaffen, braucht es aber die Politik, die Minen und ihre Erzeugnisse kontrolliert.

Minenstandards lassen sich bisher allerdings nicht global durchsetzen. Die Rohstoffindustrie umgeht globale Regelwerke gezielt. Der Rohstoffhandel vereinfacht das, weil er undurchsichtig ist und die Herkunftsländer oft autokratisch sind und damit die Zivilgesellschaft fehlt, die so etwas auffangen kann.

Das Szenario basiert zudem auf nicht spezifizierten technologischen Durchbrüchen, die die jetzige Innovationsrate fortschreiben. Was aber, wenn die aktuelle globale Batteriewirtschaftskrise zu einem jahrzehntelangen Batteriewinter führt, wie wir ihn aus dem Bereich der KI? Währenddessen gäbe es kaum Fortschritte.

Aber auch andersherum droht Gefahr: Je weniger neue Materialien die Batterien der Zukunft brauchen, desto weniger lohnen sich neue Minen, womit wir nicht genügend Rohstoffe hätten. Recycling wird in diesem Szenario unrentabler.

Ich glaube zudem nicht, dass die Menschheit in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren eine echte Mobilitätswende hinbekommt. Einzelne Beispiele wie Paris ändern nichts daran, dass das große, schwere, leere Auto das Maß der Dinge bleibt.

Speziell für die EU hat der Report eine ermutigende Botschaft: Im Batterierecycling könnte sie ihre globale Nische finden. Dank ihres großen Marktes gibt es einen ständigen Strom an alten Batterien, dank ihrer technologischen Fertigkeiten die Möglichkeit, diese Batterien zu verwerten und dank der aktuellen geopolitischen Lage einen Anreiz, Batterierecycler zu fördern. Und es passt auch kulturell speziell ins selbst ernannte Mülltrennungswunderland Deutschland.

Vielleicht also kauft Europa nach Jahrzehnten des Müllexports in arme Länder bald auf dem Weltmarkt Müll, der wertvolle Metalle für das Energiesystem der Zukunft enthält. Das ist nicht nur eine gewitzte Pointe der Globalisierung, sondern auch eine handfeste ökonomische Chance für alle Firmen, die sich gerade upstream, am Anfang der Batterielieferketten positionieren.

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Der letzte Link

Ich lese im Wall Street Journal, dass Climate Tech VCs jetzt für Kamala Harris sammeln und das erinnert mich an einen Tweet, der die Runde machte, als die US-Tech-Elite geballt für Trump trommelte – und dann Biden vier Tage später zurücktrat.

Vielen Dank an alle, die mir ihre Heimspeicher-Setups geschickt haben. Wer noch keine Antwort von mir bekommen hat, bekommt sie in den nächsten Tagen.

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