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„Wir verkaufen Sonnenlicht in der Nacht“ – Reflect Orbital
Eine Analyse der verrücktesten Solar-Idee, die ich bisher gehört habe
Hi Cleantechie!
In dieser Woche analysiere ich, ob es einen Markt für „Sonnenlicht bei Nacht“ gibt, ich habe die Jobs-Sektion weiter ausgebaut und in den guten Links verstecken sich ein paar echte Schmankerl für die Bookmarks.
Das sind die Themen
Jup, das ist ein wahrer Moonshot: Sonnenlicht aus dem All reflektieren
Das US-Startup Reflect Orbital will mit Spiegeln aus dem erdnahen Weltraum Sonnenlicht an jede Stelle des Planetens reflektieren.
Es stellt sich 57 kleine Satelliten vor, die in einer Formation in sonnensynchroner Polarbahn um die Erde kreisen, in einer Höhe von 370 Meilen (600 Kilometern). Sie würden die Erde von Pol zu Pol umkreisen, während die Erde unter ihnen rotiert.
Die Satelliten sollen 16kg wiegen und im All 100 Quadratmeter große Spiegel aus Mylar entfalten. Mylar ist eine PET-Variante, die bis zu 99% des Lichts reflektieren kann. Die Spiegel sollen das Licht in einen Strahl bündeln können.
Das Start-Up hat die Idee bisher prinzipiell von einem Ballon aus getestet. Ein nächster Test in größerer Höhe soll folgen.
🍏 Was ich denke
Das ist die bekloppteste, wunderbarste Solar-Idee, die ich bisher gehört habe.
Als ich das Video vom Ballontest der Firma zum ersten Mal gesehen habe, fielen mir gleich mehrere Gründe ein, warum es keine gute Idee ist, Sonnenlicht aus dem All mit Spiegeln auf die Erde zu senden.
Aber, zugegeben, die Euphorie des 28-jährigen Gründers Ben Nowack in dem Video ist ansteckend.
Falls du 3 Minuten hast, schaue es dir an. Falls nicht: Das Video ist self-made, ohne viel Schnickschnack. Sie reflektieren darin bei Sonnenaufgang Sonnenlicht auf bewegliche Solarzellen, die an einem kleinen Truck hängen. Es funktioniert.
Die beste Stelle ist, als Ben Nowack ruft: „It’s literally working, let there be light“.
Im Video tauchen die Messdaten ihrer Solarzellen auf. Die blauen Ausschläge auf der Grafik zeigen die Momente, in denen der Lichtkegel des Ballon-Spiegels auf die Zellen trafen. Die Solarzellen erzeugten im besten Fall über 200 Watt zusätzlicher Leistung.
Der Pitch des Start-Up geht ungefähr so: Solarenergie haben wir vor allem dann, wenn wir sie nicht am dringendsten brauchen. Die Stromnachfrage zieht zwischen 5 Uhr und 9 Uhr extrem an, erreicht ihren Peak gegen 12 Uhr. Zwischen 17 und 19 Uhr ist noch einmal ein wichtiges Fenster, wenn die Menschen von der Arbeit kommen. Die Stromnachfrage vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang müssen auch andere Energiequellen decken.
Das Wunderbare an dieser Idee ist, dass sie einfach und elegant ist. Problem: Wir haben nachts kein Sonnenlicht. Lösung: Lasst uns Sonnenlicht organisieren.
Viel direkter kann man in der Energiewende nicht von A nach B kommen. Wir brauchen Menschen, die in der Klimakrise über den Tellerrand hinaus denken. Das Team von Reflect Orbital hat es getan.
Bemerkenswert ist auch, dass diese Idee nur denkbar und überhaupt interessant ist, weil zwei Megatrends zusammenlaufen: immer billigere Solarzellen und immer billigere Weltraumflüge. Kostete es Anfang der 1980er Jahre noch fast $100.000 ein Kilogramm in eine niedrige Erdumlaufbahn zu transportieren, sind es jetzt $2350.
Vielleicht hatte schon vor zwanzig Jahren jemand genau diese Idee. Aber sowohl die Kosten für Solarzellen als auch die Kosten für Raketenstarts hätten schnell gezeigt: Ist unmöglich und braucht auch niemand.
Speziell Raketenstarts sind immer noch nicht billig. Deren Kosten sind dank der wiederwendbaren Raketen von SpaceX und ähnlicher Startups aber so stark gefallen, dass die Idee von Reflect Orbital plötzlich nicht mehr völlig abwegig erscheint. Es würde nur 2,14 Millionen US-Dollar kosten, die Satelliten auf eine erdnahe Umlaufbahn zu hieven. Sollte Starship, die neue SpaceX-Rakete, die Kosten auf konservative $500 für das Kilogramm senken können, wären es sogar nur knapp $500.000 Dollar.
Lass uns grob durchrechnen, was genau Reflect Orbital eigentlich leisten könnte, mit dem vorgestellten Setup von 57 Satelliten. Nicht jeder Tag wird perfekt dafür geeignet sein. Gehen wir davon aus, dass an 50 Tagen im Jahr dieses Solarupgrade nicht klappt, weil der Himmel bedeckt ist. Das sind insgesamt 315 Tage à 0.5h = 157,5 zusätzliche Stunden, macht 6,56 zusätzliche Tage im Jahr, an denen die Anlage ihren Ertrag steigern kann bzw. überhaupt irgendwelchen Ertrag abwirft.
Ist das gut? Ist das schlecht?
Das hängt davon ab, was rund um die Solaranlage noch am Netz hängt. Denn Reflect Orbital konkurriert nicht mit Solarparks, sondern mit Batteriespeichern aller Art. Es macht für Betreiber einer Solaranlage nur Sinn, diese zusätzliche Sonne zu buchen, wenn ich glaube, mit diesen teuer erkauften Extra-Watt auch extragroße Gewinne zu erzielen.
Und nun kommen wir zum leicht bekloppten Teil der Idee. Denn Reflect Orbital will mit diesem Trend konkurrieren:
Batterien werden immer schneller immer billiger. Sie haben (noch) eine Lernrate von 10-20% und könnten bald schon bei circa $100/kWh ankommen. Überall dort, wo Batterien am Netz sein werden, werden Batterien und andere Netzspeicher wahrscheinlich immer billiger sein als der zusätzliche Strom von Reflect Orbital. Und überall dort, wo es genug Platz gibt, baut ein Energieversorger einfach seinen Solarpark aus, um mehr Leistung zu erzielen.
Es bleiben also auf den ersten Blick nur geografische und ökonomische Grenzfälle als Kunden: Solarparks, die sich relativ hoch im Norden oder in autarken Mikrogrids mit wenigen Speichern befinden.
Erst, wenn Reflect Orbitals Technologie selbst immer schneller, immer billiger werden würde, könnte sich ihr großflächiger Einsatz für große Solarparkbetreiber – vor allem, wenn die Anlagen schon abgeschrieben sind – punktuell lohnen.
Aber sollte die Idee massenmarktfähig sein, würden jeden Tag Zehntausende kleine Sonnenstrahlen auf die Erde treffen. Diese Lichtverschmutzung würde astronomische Beobachtungen erschweren und könnte die Biorhythmen von Menschen und Tieren stören.
Gleichzeitig verschmutzen Raketen die Atmosphäre. Ich zitiere ein NASA-Team (PDF): „Die Auswirkungen des Verbrennens von Raketentreibstoff in der oberen Atmosphäre sind von der Wissenschaft bisher nicht quantifiziert, aber es wird allgemein angenommen, dass sie viel schlimmer sind als das Verbrennen dieser Treibstoffe am Boden.“
Wegen all dieser Argumente ist Reflect Orbital ein wahrer Moonshot.
Aber Reflect Orbital als Firma, als Idee steht für etwas Größeres: Wir sehen jetzt Entwicklungen, die nur möglich und sinnvoll sind, weil Solarkraft selbst sich so schnell ausbreitet und so billig ist.
Das heißt, wir sind in die Phase eingetreten, in der diese Technologie durch neue Erfindungen und Produkte auf der nachgelagerten Infrastrukturebene noch einmal deutlich nützlicher werden kann. In die gleiche Kategorie fallen Batterien, aber auch Smart Meter zum Beispiel, die die Last in einem Netz steuern können.
Solarkraft bekommt jetzt Upgrades. So oder so.
👉️ Steige tiefer ein
Ein Interview mit dem Gründer Ben Nowack, in der auch einige technische Details verrät.
Das jüngste Paper eines europäischen Teams, das an der gleichen Idee arbeitet.
Jobs & Deals
💶 Goodcarbon aus Berlin hat €5,25 Millionen für seine Emissionshandelsplattform in einer Seed-Runde aufgenommen. Lead: Ocean 14 Capital. Mit dabei: Silverstrand Capital, Planet A Ventures, 468 Capital and Greenfield Capital. Die Firma sucht 3 neue Kolleg:innen in Sales, Accounting und Marketing.
💶🔋 Terra One aus Berlin setzt auf ein Full-Stack-Konzept für Batteriegroßspeicher-Projekte. Es hat gerade €7 Millionen in einer Seed eingesammelt. Leads: pt1 und neosfer. Mit dabei: 468 Capital, Maximilian Tayenthal, Jan Beckers, Andreessen Horowitz, Hedosophia. Das Startup sucht u.a. einen Head of Grid Connection, Projektleiter und Projektmanager.
Neue Stellen auch hier:
Wechselrichter-Firma Sungrow, München, 38 offene Stellen, u.a. ein Marketing Manager für DACH-Region und Remote Support Engineer.
E-Fuels-Startup Ineratec, Karlsruhe, u.a. Projektmanager und Konstrukteur.
Batteriefirma Varta, Ellwangen und Nördlingen, 126 offene Stellen, neu u.a. Jobs im Mikrobatteriengeschäft.
Automobilzulieferer Hofer Powertrain, 43 Jobs, davon viele neu. Initiativbewerbung hier explizit möglich.
Abwärme-Energie-Startup Orcan Energy, München, sucht Praktis für Steuerungs- und Regeltechnik.
👉️ Steige tiefer ein
Hier habe ich für dich eine Liste von Jobportalen für grüne Jobs zusammengestellt.
Die guten Links
🔋 Ein famoses Rohstoff-Fluss-Diagramm in Nature Communications für die Inputs von Batterien: Kobalt, Nickel und Mangan.
☀️Super praktisch: Ein interaktives Tool, um sich anzuschauen, wie effektiv welche Solarzell-Typen sind.
💨Die Offshore-Windindustrie hat ein Problem: Sie entwickelt zu schnell immer neue und leistungsstärkere Turbinen. Das verhindert Lerneffekte und belastet die Lieferketten. Sehr aufschlussreiche Folge des Enpower-Podcasts mit Sabine Weth und Ursula Smolka von der dänischen Ingenieursberatung Rambøll.
🧑🏭 Ein Team des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung hat ausgerechnet, dass es sinnvoller sein kann, die europäische Stahlindustrie ziehen zu lassen, als sie mit Subventionen zu päppeln. Hier eine Zusammenfassung. Hier die Studie. (Ich werde mich dieser Studie in der nächsten Ausgabe noch mal detaillierter widmen. Denn sie hat Sprengkraft.)
🌋Ein großer klimapolitischer Sieg in den USA: Die US-Regierung schreibt Kohle-Kraftwerken und neuen Gaskraftwerken zum ersten Mal vor, wie viel CO₂ sie ausstoßen dürfen. Die neuen Regeln gelten für Kohlekraftwerke, die über das Jahr 2039 hinaus am Netz bleiben sollen. Ab 2032 müssen sie demnach 90 Prozent weniger CO₂ ausstoßen. Das könnte einen Carbon-Capture-and-Storage (CCS)-Boom in den USA auslösen.
🤦Diese großen Sieg haben aber zu wenige mitbekommen, weil Hillary Clinton einen irreführenden Chart von Carbon Brief getwittert hat.
🏗️ Ist das „CO₂-freie“ Zementwerk in Schleswig-Holstein ein Etiketten-Schwindel. Claus Hecking vom Spiegel hat Stimmen gesammelt. (🎁 Geschenklink)
⚡️Das ist mal eine Koalition: Der Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Bauernverband (DBV), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) fordern die Erdverkabelungspflicht für Stromtrassen aufzuheben.
🌊 Ein Fünftel der bayerischen Kommunen könnten mit Flusswärmepumpen ihren Bedarf decken.
🇪🇺 Net Zero Industry Act der EU: „Die europäische Antwort auf den IRA der USA fällt mickrig aus“, schreibt Olga Scheer im Handelsblatt.
♻️ Mehrweg ist Schrott – das behauptet der Cradle-To-Cradle-Erfinder Michael Braungart in diesem wirklich lesenswerten Interview (€) von Philip Bethge im Spiegel. Was besser wäre: „Die EU müsste festlegen, dass wir in zehn Jahren Plastik nur noch aus dem Kohlendioxid der Atmosphäre gewinnen.“ Das würde Anreize schaffen, Plastik von Anfang so zu benutzen, dass es mehrmals wiederverwendet werden kann oder gleich ganz zu vermeiden. Hier findest du ein Gespräch mit ihm ohne Paywall.
🚗Teslas desaströse Quartalszahlen habe ich diese Woche prominent ignoriert. Ich bleibe bei meinem Fazit aus Ausgabe #2: „Teslas Probleme sind vor allem: Teslas Probleme.“ Womit ich aber nicht gerechnet hätte: Dass ein Leser des US-Magazins CleanTechnica Tesla besser zu kennen scheint als Elon Musk.
Jede Woche wird mein Themenberg größer, nicht kleiner 🤯
Es ist fantastisch zu sehen, wie viel Bewegung in unserem Feld ist. Vier Bereichen werde ich mich auf jeden Fall früher oder später widmen: Perowskit-Solarzellen, Pflanzenkohle, PVT-Kollektoren und Geothermie. Wenn du in diesen Bereichen arbeitest, melde dich doch kurz mit einem Hallo direkt als Reply oder per Mail!
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👋 Importiert Sonnenlicht ja auch mal über akustische Signale,
Rico Grimm
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