Was du über Strompreiszonen wissen musst

Ein kurzer Crashkurs mit den wichtigsten Argumenten.

Hi Cleantechie!

Dieser Newsletter gibt dir jede Woche in 5 Minuten den Überblick über die wichtigsten Unternehmen, Forschungsdurchbrüche und Trends der Branche.

Diese Ausgabe gleicht einem großen Basar; in jeder Ecke gibt es etwas zu entdecken.

Einen Schwerpunkt lege ich auf die Debatte um Strompreiszonen. Worum geht’s? Wer will was? Was sind die wichtigsten Argumente? Ich habe mich durch die Beiträge gelesen und fasse sie für dich zusammen.

Außerdem zeige ich dir die überraschendste Zahl aus Teslas Quartalsbericht.

Let’s go!

Crashkurs: Das Wichtigste zur Strompreiszonen-Debatte

Was du brauchst, um diese Debatte zu verstehen

  • Deutschland hat einen nationalen Einheitspreis für Strom. Egal, wie viel Energie vor Ort produziert wird, der Strom kostet grundsätzlich das Gleiche.

  • Weil gleichzeitig die Netze nicht genug Strom vom windreichen Norden in den industriestarken Süden transportieren können, muss Windenergie immer wieder abgeregelt werden und im Süden die Gaskraft einspringen.

  • Der erneuerbare Strom ist im Norden und Nordosten durch die einheitliche Strompreiszone künstlich teurer.

  • Gäbe es genügend Leitungen, gäbe es weniger große regionale Unterschiede.

  • Andere Länder teilen ihren Strommarkt in mehrere Preiszonen auf. In jeder Zone kostet Strom unterschiedlich viel. So hat etwa Schweden vier Zonen, Norwegen fünf und Dänemark zwei:

  • Die deutschen Nord-Bundesländer fordern seit Monaten, dass auch Deutschland mehrere Strompreiszonen bekommt. Dann wäre der Strom dort billiger, wo viel von ihm hergestellt wird.

  • Unterstützung bekamen sie vor etwas mehr als zwei Wochen von 12 Energieökonomen in einem Gastbeitrag für die FAZ (€), darunter u.a. Veronika Grimm, Lion Hirth, Ottmar Edenhofer, Christoph Maurer. Auch die FDP ist für eine Aufteilung

  • An gleicher Stelle antworteten die Gegner, mehrere Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften. Es gibt eine ausführliche Fassung der Antwort hier (PDF).

  • Schrieb nichts in die FAZ, ist aber auch gegen Strompreiszonen: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

  • Wichtiger Kontext: Im Hintergrund läuft eine weitere Debatte über den sogenannten Kapazitätsmarkt, der den deutschen Strommarkt auf Jahre hinaus prägen wird.

Warum diese Debatte wichtig ist

Der Strompreis ist das Leuchtfeuer der Energiewende.

Er ist die eine Zahl, auf die wirklich alle Akteure bei ihren Entscheidungen und Einschätzungen schauen. Egal, ob Industrie oder Politik, ob NGOs oder Verbände, ob Gegner oder Befürworter.

Ändert sich der Strompreis, ändert sich die Richtung und Geschwindigkeit der Energiewende. Gäbe es im Süden Deutschlands andere Strompreise als im Norden, würde sich der industrielle Schwerpunkt Deutschlands verschieben.

An der Industrie wiederum hängen Steuereinnahmen, politische Macht, Prestige und regionaler Stolz.

Das sind die Argumente für mehrere Strompreiszonen

  • Die Befürworter glauben, dass ein einheitlicher Strompreis die Physik des Netzes nicht widerspiegele und ineffizient sei.

  • Der Strompreis würde fallen, weil Kraftwerke, Speicher und Stromhandel netzdienlich optimiert werden.

  • Das Netz müsste nicht mehr mit teurem Redispatch „in mühsamer Kleinarbeit“ korrigiert werden.

  • Strompreiszonen würden neue Industrieinvestitionen dort anreizen, wo es grünen Strom im Überschuss gibt.

Moneyquote:

„Der Strommarkt gibt sich der Illusion hin, es gäbe immer ausreichend Kapazitäten zur Durchleitung. Diese Illusion wird sich angesichts der großen Herausforderungen im Strommarkt nicht mehr lange aufrechterhalten lassen.“

Das sind die Argumente dagegen

  • Die Gegner halten dagegen, dass so eine Reform große Unsicherheit schaffe. Diese hemme neue Investitionen in Erneuerbare. Diese Unsicherheit müsste dann der Staat mit neuen Förderungen ausgleichen.

  • Sie befürchten, dass die Strompreise in Regionen mit wenig Erneuerbaren „erheblich“ steigen würden, glauben aber, dass die Industrie ihre Standortentscheidungen nicht von lokalen Strompreisen abhänging machen würde

  • Mehrere Zonen würden den Markt aufsplitten und die Liquidität im Markt verringern d.h. sie fürchten, dass zu wenig Handel in den kleineren Regionen stattfinden kann, was die Preise treibt und wenigen Akteuren eine marktbeherrschende Stellung geben könnte.

  • Die Lösung sei mehr „physischer Ausbau“: mehr Speicher, mehr Direktbelieferung von Industrie, mehr Elektrolyse

Moneyquote:

„Die negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft sind nicht ab­zusehen und überlagern etwaige Vorteile.“

🍏 Was ich denke

Zur Erinnerung: In diesem Abschnitt gebe ich dir meine persönliche Einschätzung. Dabei übersehe ich zwangsläufig Dinge. Deswegen freue ich mich über Hinweise und Kritik. Lob nehme ich auch. Antworte mir direkt auf diese Mail oder besuche die Kommentarsektion.

Die Befürworter der Strompreiszone haben die besseren Argumente, aber die Gegner die politische Macht.

Es hilft, ein Stück zurückzutreten.

Energie soll dort hergestellt werden, wo sie verbraucht wird. Das war eines der Leitprinzipien der Energiewende vor 25 Jahren. Dieses Prinzip war nur zu formulieren, weil die Sonne überall scheint und der Wind überall weht.

Ein System, das von Erneuerbaren dominiert wird, ist dezentraler und hat mehr mit dem Internet gemein als mit einem traditionellen Stromsystem, das von wenigen großen Akteuren geprägt wird.

Die Dezentralität hat Vorteile: niedrigere Eintrittshürden, einfachere Backup-Systeme, gesteigerte Netzautonomie und geringere Transportkosten.

Aber die Dezentralität hat auch einen großen Nachteil. Das System wird unübersichtlicher und chaotischer. Die Regierung kann mit Gesetzen den Rahmen setzen, aber auf der taktischen Ebene steuert allein der Strompreis die Investitionsentscheidungen.

Das bedeutet: Wer ein System mit dezentralen Erneuerbaren, aber zentralisierter Preisbildung baut, beraubt sich der Steuerung. Politische Eingriffe müssen sie ersetzen. Also schafft eine einheitliche Strompreiszone kurzfristig das, was ihre Befürworter so sehr befürchten: Unsicherheit.

Firmen können die Ausbaupläne für Erneuerbare anschauen und ihre Investitionen planen. Diese Pläne sind öffentlich und Ergebnis der geografisch-ökonomischen Dynamik. Politisch gesteuerte Pläne sind nicht so transparent. Wohin kommt das Kraftwerk? Wie läuft der Netzausbau?

Deshalb sticht ein Argument der Zonengegner in meinen Augen auch gar nicht. Denn natürlich machen Unternehmen ihre Standortentscheidungen vom Energiepreis abhängig, wenn dieser die Kalkulation entscheidend ändert. Wenn es anders wäre, müsste niemand die Abwanderung stromintensiver Betriebe aus Deutschland befürchten (und wir hätten bereits Strompreiszonen).

Energiegetriebene Standortentscheidungen zu ignorieren, ist historisch blind. Das Ruhrgebiet profitierte von billiger Kohle, der Süden von viel Atomstrom.

Die Industrie folgt der Energie, nicht andersherum.

Und das würde sie auch in einem Deutschland mit mehreren Strompreiszonen tun, wenn die Preisunterschiede relevant wären. Sicher: Das Traditionsunternehmen würde seinen Stammsitz nicht direkt verlegen. Aber was ist mit neuen Produktionsstätten? Und was ist mit den Startups und den zukünftigen Champions, die Deutschland so dringend sucht? Sie können doch woanders hinziehen.

Der Kern der Debatte ist: Der wirtschaftlich starke Süden befürchtet, seine Unternehmen zu verlieren.

Aber wenn man den Befürwortern von Strompreiszonen glaubt, muss das nicht der Fall sein. Sie argumentieren: Der Strompreis in ganz Deutschland würde durch Strompreiszonen sinken, weil die Netzentgelte und Redispatch-Kosten geringer werden und die Verbraucher und Erzeuger effektiver auf Engpässe reagieren können.

Der Süden würde im Vergleich zum Osten und Norden allerdings abrutschen. Eine Studie des Beratungsunternehmens Enervis beziffert den Unterschied auf bis zu €20 pro MWh.

Gleichzeitig würden die sogenannten Marktwerte von Windstrom im Norden sinken. Eine MWh Windstrom im Norden wäre weniger wert als eine MWh Windstrom im Süden. „Bei einer Zweiteilung lägen die Marktwerte süddeutscher Anlagen um 19 EUR/MWh beziehungsweise 50 % über denen norddeutscher Anlagen“, heißt es in einer Untersuchung.

Was daraus folgt, ist klar. Es wird attraktiver, neue Windparks im Süden zu bauen.

Abschließend: Die Debatte um Strompreiszonen ist gut; erst einmal egal, wie sie ausgeht.

Denn sie ist eine Debatte darüber, wie ein Stromsystem, das von Erneuerbaren dominiert wird, aussehen muss und fördert so die eine Energiewende, die entscheidend ist, aber oft hinten unter fällt: die Energiewende in den Köpfen.

Selbst wenn keine Strompreiszonen kämen, profitieren Mikrogrids, Smart Meter, dynamische Stromtarife, Speicher usw. indirekt von dieser Debatte. Wobei es besser wäre, wenn sie direkt von starken Preissignalen im Markt profitieren könnten und die schaffen Preiszonen eher als das einheitliche System.

Flexibilität ist in einem dezentralen System voller Erneuerbarer nicht nur ein Ziel unter vielen.

Es ist das Ziel.

9,4 GWh

So viel Batteriekapazität hat Tesla im zweiten Quartal dieses Jahres installiert. Dazu zählen sowohl die Powerwall für E-Auto-Besitzer als auch die Megapacks für industrielle Groß- und Marktspeicher.

Diese Kapazität entspricht einem guten Fünftel der gesamten aktuellen Kapazität Deutschlands.

Der Gewinn im Speichersegment stieg um 100 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf $3 Milliarden. Vielleicht ist Tesla gar keine E-Auto-, keine Robotaxi-, keine Roboter-, sondern eine Speicherfirma? 😉 

👉️ Steige tiefer ein

  • In diesem PDF findest du Teslas Quartalszahlen, hier Details aus dem Earnings Call.

Jobs & Deals

💶 Keine Deals. Jedenfalls keine, die ich gesehen habe 🤨 

👉️ Hier habe ich für dich eine Liste von Jobportalen für grüne Jobs zusammengestellt.

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Die wichtigen News

Nachrichten, über die die Branche gerade spricht.

⚡️Die Bundesnetzagentur will die stromintensive Industrie dazu bringen, ihren Verbrauch stärker an der Einspeisung zu orientieren. Deswegen schlägt sie jetzt variable Netzentgelte vor (Link)

♨️Viessmann machte letztes Jahr Schlagzeilen, als es seine Wärmepumpensparte an den US-Konzern Carrier Global verkaufte. Jetzt kommt ein Deal in die andere Richtung: Bosch holt sich für $8 Milliarden das Wärmepumpengeschäft von Johnson-Controls-Hitachi Air Conditioning (Link)

⚛️ Realta Fusion erzeugt Rekord-Magnetfeld mit einer Feldstärke von 17 Tesla in Fusionsexperiment (Link)

🔋Eisen-Salz-Batterien sind perfekt für Langzeitspeicher geeignet. Das Münchner Startup Voltstorage arbeitet an einer 20-fachen Leistungssteigerung (Link)

🔋 Daimler Truck eröffnet Battery Technology Center in Mannheim (Link)

🌬️ Die ersten beiden Ausschreibungsrunden dieses Jahres waren leicht unterzeichnet. Jetzt kürzt die Bundesnetzagentur Volumen für Windenergie-an-Land-Ausschreibung (Link)

🧮 Netzbetreiber müssen Zehntausende Stromzähler austauschen (Link)

🌬️ Die Genehmigungen für neue Windkraftanlagen an Land erreichen Rekordniveau. Aber der eigentliche Ausbau stockt. Grund (unter anderem): Ein geplatztes Rohr an der A27 bei Cuxhaven (Link)

Der letzte Link

Die USA erleben eine Renaissance der Ingenieurskunst: So viele neue Fabriken wie seit Jahrzehnten werden gebaut, junge Leute entscheiden sich gegen ein Studium und für ein Handwerk, und klar, die USA wären nicht die USA, wenn nicht auch dieser Trend einen coolen Clip hervorbringen würde.

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Rico Grimm

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