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Der Fall Lilium – welche Argumente überzeugen und welche nicht
Ich fasse die Debatte um das Flugtaxi-Startup für dich zusammen.
Hi Cleantechie!
Dieser Newsletter gibt dir jede Woche in 5 Minuten den Überblick über die wichtigsten Unternehmen, Forschungsdurchbrüche und Trends der Branche.
Sehr kontrovers diskutiert in der Startup-Szene, in der Regierung, im Bundestag: Sollte der Bund für einen Kredit an das Münchner Flugtaxi-Startup Lilium bürgen? Die Bundesregierung sagt nein. Der Fall hat industriepolitische Bedeutung.
Deswegen fasse ich für dich die wichtigsten Argumente zusammen und gebe dir am Ende meine eigene Einschätzung.
Let’s go!
Der Fall Lilium – welche Argumente überzeugen und welche nicht
Worum es in der Debatte geht
Dem Flugtaxis-Startup Lilium geht das Geld aus.
Das gab das Unternehmen bekannt, als es seine Halbjahreszahlen vorlegte. Sollte innerhalb der nächsten Monate kein neues Geld eingetrieben werden, könnte das nach Unternehmensangaben Kürzungen im Geschäftsbetrieb bedeuten. Aber auch ein ordentliches Insolvenzverfahren behält sich das Unternehmen vor.
Das Land Bayern hatte bereits zugesagt, einen Kredit über 50 Millionen Euro als Bürge abzusichern, wenn der Bund das Gleiche täte. Gesamt also €100 Millionen. Das Darlehen würde von der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Form einer Wandelanleihe an das Unternehmen gezahlt und zu marktüblichen Zinsen („zweistellig“ laut Lilium-Gründer Daniel Wiegand) vergütet werden. Bei einer Wandelanleihe kann der Kreditgeber entscheiden, das Darlehen am Ende der Laufzeit in Aktien umzuwandeln.
Hätten die bayerische Landesregierung und der Bund die Bürgschaft übernommen, hätten laut Aussage von Lilium auch die bisherigen privaten Investoren weiteres Geld in „dreistelliger Millionenhöhe“ zugeschossen.
Über das Für und Wider einer staatlichen Bürgschaft ist eine heftige Debatte in der deutschen Startupszene und in der Bundesregierung entbrannt.
Was du über Lilium wissen musst
2015 von vier Studenten der TU München gegründet.
Lilium baut vertikal startende Elektroflieger, mit denen laut Firmenangaben bis zu sechs Passagiere und eine Pilotin 175 Kilometer weit fliegen können sollen. 30 Elektromotoren werden von einer Batterie mit einer Dichte von 330 Wh/kg versorgt.
Bisher gab es keinen bemannten Erstflug. Der ist für 2025 geplant.
Zu den Investoren von Lilium gehören u.a. Frank Thelen, Skype-Gründer Niklas Zennström, der chinesische Digitalkonzern Tencent, die VCs von Atomico Investment Holdings Limited sowie der ehemalige Regierungschef von Liechtenstein, Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein.
Lilium ging 2021 an die Börse. Bisher hat das Unternehmen €1,5 Milliarden eingesammelt.
Das Unternehmen stellte zum Börsengang 2021 in Aussicht, dass innerhalb von drei Jahren 90 Flugzeuge gebaut und 250 Millionen Dollar Umsatz erzielt werden. Diese Ziele hat es nicht erreicht. Bereits zuvor musste es immer wieder Ankündigen zurücknehmen.
Der (noch nicht vorhandene) Flugtaxi-Markt, kurz umrissen
Die Flugtaxis sollen auf kürzeren Reisestrecken bis zu 150 Kilometern zum Einsatz kommen. Sie sollen innerstädtisch den Verkehr entlasten und außerstädtisch, mittelfristig die Elektrifizierung des Flugverkehrs vorantreiben.
Lilium-Gründer Daniel Wiegand schwebt ein Netz aus Start- und Landeplattformen vor, die durch Luftkorridore miteinander verbunden sind.
Noch gibt es keine kommerziellen Flugtaxis. Mehrere Dutzende Startups bauen an Fliegern. Darunter etwa Eve aus Brasilien, Volocopter aus Bruchsal, Joby Aviation (USA) und E-Hang (China).
Flugtaxis müssen ähnlich hohe Sicherheitsstandards wie Passagierjets erfüllen; Regierungen in aller Welt arbeiten derzeit an Gesetzen, um den Betrieb zu ermöglichen.
Was gegen eine Rettung spricht
Hier habe ich die pointiertesten Argumente beider Seiten gesammelt.
Christoph Gerber, CEO Talon One, Gründer Lieferando – LinkedIn
If €100 million or even €150 million could realistically push them toward a breakthrough, private investors would be all over it. The fact that the private market refuses to back Lilium sends a clear message: Lilium has no shot at hitting the next milestone with that money.
Niklas Wirminghaus – CAPITAL
Aus guten Gründen hat der deutsche Staat bislang darauf verzichtet, einzelne Start-ups direkt zu finanzieren. Zwar fließen schon lange Milliarden aus Bundes- und EU-Mitteln in die Gründerszene – über Risikokapitalgeber wie den High-Tech Gründerfonds, Coparion oder seit kurzem den DeepTech & Climate Fonds, aber auch durch üppige Ankerinvestitionen in die Fonds privater Venture-Capital-Geber.
Entscheidend aber ist, dass die Investitionsentscheidungen hier im Einzelnen durch professionelle und unabhängige Fondsmanager getroffen werden – und nicht durch Ministerialbeamte oder gar Abgeordnete. Deren Ansinnen mag ehrbar und sinnvoll sein, aber die Erfolgsbilanz des Staates in der Auswahl der richtigen Unternehmen für seine Subventionen ist einfach notorisch schlecht.
Sören Götz – ZEIT ONLINE
Alles spricht also dafür, dass Flugtaxis ein Transportmittel für wenige Reiche bleiben. Theoretisch bestünde immerhin die Hoffnung, dass die Hersteller mit ihren Entwicklungen dazu beitragen, Flugzeuge irgendwann elektrisch und damit klimaneutral zu betreiben. Doch daran arbeiten die Unternehmen nicht, sie zielen auf Strecken von allerhöchstens 300 Kilometern ab. Für große Flugzeuge ist der reine Batteriebetrieb ohnehin unrealistisch, da die Batterie zu groß und schwer wäre. Hier läuft es auf Wasserstoff hinaus.
Christian Vollmann, Gründer C1 Green Chemicals AG – LinkedIn
Wir sollten nicht versuchen, "am Ende" einen Gewinner durch Subventionen zu küren sondern stattdessen "am Anfang" mehr Pferde ins Rennen schicken und ihnen beim Sprung über die FOAK-Lücke helfen. Danach entscheidet der Markt, wer gewinnt.
Was für eine Rettung spricht
Jens Koenen – Handelsblatt
Da wird darauf hingewiesen, dass eine Bürgschaft über 100 Millionen Euro nicht reichen wird. Es sei ein Alarmsignal, wenn private Investoren kein Geld mehr geben wollten. Ja, 100 Millionen Euro reichen bei Weitem nicht. Aber es geht darum, eine kurzfristige Lücke zu schließen. Private Investoren haben durchaus ihre weitere Unterstützung zugesagt.
Kritisiert wird, die fliegenden Taxen seien nur etwas für Reiche. In der Anfangszeit werden sich sicher nur Betuchte einen solchen Flug leisten können. Aber auch die ersten Tesla-Modelle waren für den Normalverdiener nicht erschwinglich. Mittlerweile mischt der Autopionier mit seiner Massenfertigung die gesamte Branche auf.
Es gebe kein nachhaltiges Geschäftsmodell – auch ein gern genanntes Argument gegen Hilfen. In der Tat wird es für die Luftfahrtpioniere wohl die größte Herausforderung, eine ausreichende Nachfrage zu generieren. Aber selbst wenn das nicht gelingen sollte, wären Hilfen gerechtfertigt.
Es geht um Innovationen, die die Luftfahrt dringend braucht. Wenn ein Konzern wie Airbus an der Vision eines Wasserstoffflugzeugs arbeitet, greift er millionenschwere Subventionen in der EU ab. Obwohl das Unternehmen mit dem zivilen Flugzeugbau gutes Geld verdient.
Oliver Stock – Business Punk
Stattdessen pumpt [die Regierung] zum Beispiel alles in allem zwei Milliarden Euro an Zuschüssen, Krediten und Absicherungen in die Werft-Industrie, deren letzte Innovation der Einbau von Dieselmotoren in Stahlrümpfe gewesen ist und die wie die völlig absurder Weise Kreuzfahrtschiffe im Landesinneren baut. Um sie ins Meer zu überführen, werden Stauwerke auf Staatskosten errichtet, die das örtliche Flüsschen soweit mit Wasser versorgen, dass die Stahlkolosse mit einer Handbreit Wasser unterm Kiel ins Meer bugsiert werden können.
Das ist Industriepolitik, wie sie einst der preußische König betrieb und wie sie die ihm in Obrigkeitsdenken, Technologiefeindlichkeit und Bürgerbevormundung nur wenig nachstehende Nachfolgeregierung in Berlin betreibt.
Startup-Verband – Pressemitteilung
Gewährt der Bund nicht die in Frage stehende Bürgschaft in Höhe von 50 Millionen Euro, hätte das voraussichtlich nicht nur den buchstäblichen Absturz des Unternehmens selbst zur Folge. Vielmehr wäre ein nachhaltiger Reputationsschaden des DeepTech-Standortes Deutschland zu befürchten, dessen langfristigen Kosten nur schwer zu beziffern sind.
🍏 Was ich denke
In diesem Abschnitt gebe ich dir meine persönliche Einschätzung. Dabei übersehe ich zwangsläufig Dinge. Deswegen freue ich mich über Hinweise und Kritik. Lob nehme ich auch. Antworte mir direkt auf diese Mail oder besuche die Kommentarsektion.
Die Lilium-Debatte ist wie ein Trichter aufgebaut. Denn sie strukturiert sich entlang dieser drei Fragen:
Soll der Staat einzelnen Startups direkt helfen?
Soll er Flugtaxi-Startups helfen?
Soll er Lilium helfen?
Zwei dieser Fragen halte ich für vollkommen eindeutig: Ja, der Staat soll helfen. Bei einer neige ich auch zu einem „Ja“, aber mit Bedingungen.
Gehen wir die Fragen durch.
1️⃣ Ein gewichtiges Argument der Hilfe-Kritiker ist, dass der Staat ein schlechter Investor ist und nicht einzelne Unternehmen herauspicken soll.
Das Argument hielte ich für richtig, wäre die Welt ein Marktwirtschaftslehrbuch. Außerhalb der Uni sucht der Staat als größter Wirtschaftsakteur oft einzelne Unternehmen heraus und fördert sie.
Seien es Klimaschutzverträge für Stahlunternehmen, Wasserstoffforschungsvorhaben, Bürgschaften für Werften, direkte Subventionen für Standortansiedlungen wie bei Intel oder indirekte durch kommunalrechtliche Hilfen wie im Falle der Fabrik von Tesla in Grünheide.
Ja, der Staat sollte einzelnen Startups helfen.
2️⃣ Ich vermute, dass die Debatte so emotional geführt wird, weil es um ein Flugtaxi-Startup geht. Viele Menschen lehnen Flugtaxis instinktiv ab nach dem Motto „Hat die Welt sonst keine Probleme?“.
Diese populistische Denkweise beiseitegelassen, muss die Elektrifizierung der Luftfahrt irgendwo beginnen. Die Technik muss erprobt, geprüft, weiterentwickelt und skaliert werden. Die USA haben geholfen, Brasilien hat es, Frankreich könnte es und China hilft auch.
Jordan Taylor hat es in einem lesenswerten Thread so formuliert: „Die Nische der städtischen [Flugtaxis] ist winzig, fast schon ein Witz. Aber es ist der einzige derzeit aussichtsreiche Sektor der elektrischen Luftfahrt, was ihn zu einem Technologie-Inkubator macht. […] Technologie wächst aus Samen, die wir gießen sollten.“
Die Elektrifizierung kann aber nicht beim Mittelstreckenjet beginnen, sondern bei den sündhaft teuren sogenannten „Spielzeugen der Reichen“. Alle Konsumtechnologie ist zu Beginn solch ein Spielzeug. Ein iPhone war es, ein Tesla war es, die ersten digitalen Vollformatkameras waren es – und die ersten kommerziellen Passagierflugzeuge waren es auch.
Ja, der Staat sollte Flugtaxi-Startups helfen.
3️⃣ Nun Lilium. Was ich über die Firma bei der Recherche gelesen habe, lässt mich misstrauisch werden, denn es ist das eine, mal eine Ankündigung nicht erfüllen zu können. Es ist das andere, immer wieder Ankündigungen nicht erfüllen zu können.
Das sehen auch die bisherigen Investoren. Ihr Gameplan, wie ich ihn verstehe: Den Staat mit an Bord holen, weil Flugtaxis direkt von dessen Vorschriften und Auflagen abhängen. Sie wollen einen nationalen Flugtaxi-Champion kreieren, so wie es Boeing und Airbus in der klassischen Luftfahrt sind.
Aber warum sollte das Lilium sein? Volocopter aus Bruchsal hatte auch um Hilfe gebeten, diese nicht bekommen und sich schließlich von seinen bestehenden Investoren neues Geld geholt.
Dem einen Startup zu helfen, dem anderen nicht. Das geht nicht. In diesem Sinne ist die Absage an Lilium konsequent.
Allerdings hätte die öffentliche Hand auch Volocopter helfen sollen. Wichtig sind die Details: Eine Bürgschaft für einen Kredit, der zu marktüblichen Zinsen gegeben wird. Das heißt, dass der Staat nur dann wirklich zahlen muss, wenn die Firma pleitegeht.
Gäbe der Staat allen Firmen die gleiche Hilfe, wäre das fair und angesichts der technologischen Bedeutung des Flugtaxi-Marktes für die Elektrifizierung der Luftfahrt konsequent.
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