Jetzt wird auch noch Zement elektrifiziert

Eine neue grüne Formel für die Bauindustrie.

Hi Cleantechie!

Dieser Newsletter gibt dir jede Woche in 5 Minuten den Überblick über die wichtigsten Unternehmen, Forschungsdurchbrüche und Trends der Branche.

Die Top-Meldung dieser Woche zeigt uns: Vielleicht kann wirklich alles elektrizifert werden; man muss es nur versuchen. Was man aber nicht versuchen sollte: Solar Radiation Management - und doch denkt genau darüber gerade irgendjemand nach. Da bin ich mir sicher.

Bei den guten Links eine kleine Änderung: Ich habe sie in Deep Dives und News aufgeteilt; die eine Sektion zum Abtauchen, die andere zum Schnorcheln.

Let’s go!

Eine Ladung elektrischen Zement, bitte!

  • Ein britisches Forscherteam der Universität Cambridge präsentiert eine neue Methode, die Zement vollständig recycelt (Link zum Paper). Dabei wird der Zement gleichzeitig mit altem Stahl in einen elektrischen Lichtbogenofen gegeben.

  • Im üblichen Verfahren spielt Kalk eine entscheidende Rolle im Stahlrecycling, indem er den gebrauchten Stahl von Verunreinigungen befreit. In der Hitze im Ofen von über 1400 Grad Celsius zerfällt er in Branntkalk und CO₂.

  • Das Cambridge-Team tauscht den Kalk gegen Zementstein aus altem Beton aus, um Null-Emissions-Zement herzustellen.

  • Unter anderem entwickeln auch Sublime Systems (USA), Ecocem (Niederlande) und Metten Stein + Design (Overath bei Köln) vielversprechende Ansätze. Sie verzichten für ihre Produkte komplett auf Zement, um Beton herzustellen.

🍏 Was ich denke

Die CO₂-Emissionen bei der Zementherstellung gelten seit Jahrzehnten als schwer zu mindern („hard to abate“), weil die Chemie keinen Spielraum lässt.

Die Formel: CaCO3 + Hitze -> CaO + CO₂.

Die Startups und das Forscherteam aus Großbritannien zeigen, wie die neue Formel für die Bauindustrie aussehen könnte: Spucke + Willen + politischer Druck + Risikokapital.

Die Zementherstellung ist besonders, weil die Emissionen aus zwei unterschiedlichen Quellen stammen: aus dem chemischen Prozess (siehe Formel) und den Hochöfen, die mit fossilen Brennstoffen arbeiten und Temperaturen von über 1400 Grad Celsius erreichen. Die Zementproduktion verursacht so 8 % der weltweiten Emissionen.

Zement zu dekarbonisieren bedeutet also, zwei Probleme zu knacken: die Chemie und die Hitze.

Sublime Systems aus den USA hat eine Lösung für beide Prozesse gefunden. Mithilfe eines neuen elektrochemischen Verfahrens können sie auf das CO₂-intensive Kalkbrennen und sehr hohe Temperaturen verzichten. Ihr Prozess läuft bei gemütlichen 200 Grad Celsius ab. Das ist eine Wärmeregion, die heute schon direkt mit elektrisch ladenden Wärmespeichern versorgt werden kann.

Das Cambridge-Forscherteam plant, Lichtbogenöfen zu nutzen. Das ist clever, weil sich diese Technologie sich sowieso gerade in der Stahlindustrie durchsetzt. Und es zeigt, wie grüne Innovation in einem Bereich grüne Innovation in einem anderen ermöglicht. Der grundlegende Prozess ist nicht neu, aber in fossil betriebenen Öfen nicht effizient (wegen der Chemie), daher sind Stromöfen erforderlich.

Diese neuen Ansätze in der Bauindustrie reizen mich, weil sie nicht auf unerprobte, teure und wenig effektive CO₂-Abscheidung (CCS) setzen, die bisher als Königspfad für die Dekarbonisierung von Zementwerken gilt (u.a. Holcim und Heidelberg Materials in Deutschland), sondern an die Wurzel gehen. Es soll überhaupt kein CO₂ mehr freigesetzt werden.

Das britische Team hat seinen Zement patentiert und Sublime Systems will eine Pilotanlage bauen, die 30.000 Tonnen des neuen Zements pro Jahr herstellen soll, unterstützt von der US-Regierung. Das ist winzig im Vergleich zum weltweiten Bedarf von 3,3 Milliarden Tonnen.

Es ist aber auch der Beweis, dass nicht alles, was als „schwer zu mindern“ gilt, tatsächlich schwer zu reduzieren ist. Es muss nur mal jemand ernsthaft versuchen und nicht den offensichtlichsten und vermeintlich risikoärmsten Weg von CO₂-Abscheidung gehen.

Wenn sich die neuen Prozesse durchsetzen, müssen die jahrhundertealten Wertschöpfungsketten der Bauindustrie neu aufgebaut werden. Die alten Player haben also etwas zu verlieren.

Zement plus CO₂-Abscheidung könnte das sein, was Plug-in-Hybride im Automarkt sind: eine Brückentechnologie, bis die effizientere und saubere Lösung marktreif und skalierbar ist.

👉️ Steige tiefer ein

Die komplizierte Klimawissenschafts-Diskussion, die Geoengineering in den Mainstream rückt

  • Seit 2020 gelten strenge Regeln für die Schwefeldioxid-Emissionen von Schiffen, was zu einer 80-prozentigen Reduktion geführt hat.

  • Eine neue Studie in Nature will beweisen, was Wissenschaftler seit Monaten diskutieren: dass diese Regeln die Rekord-Temperaturen des letzten Jahres ausgelöst haben.

  • Der Mechanismus funktioniert so: Schwefeldioxid und andere Aerosole in der Luft reflektieren Sonnenlicht, also Wärme, zurück ins All. Wenn diese Aerosole verschwinden, nimmt die Erde mehr Wärme auf.

  • Der Klimawissenschaftler Zeke Hausfather widerspricht in seinem Newsletter der neuen Studie. Das zugrunde liegende Modell sei zu simpel und überschätze den Erwärmungseffekt.

  • Immer mehr Außenstehende befürworten den gezielten Einsatz von Schwefeldioxid, um die Erde künstlich abzukühlen. Ein Beispiel dafür ist ein viraler Hype-Thread auf X.

  • Das nennt sich Solar Radiation Management, SRM.

🍏 Was ich denke

Groß angelegte, gezielte Manipulation der Atmosphäre wird immer realistischer.

Die Cleantech-Community wird bald intensiv über Solar Radiation Management diskutieren, ob sie will oder nicht. Deswegen habe ich diese Debatte in den Newsletter aufgenommen.

2023 war ein krasses Klimajahr und 2024 geht genauso weiter. Alle Ozeane: viel zu warm. Die globalen Oberflächentemperaturen: off the charts. Bayern: unter Wasser. Delhi: über 52 Grad Celsius. USA und Karibik: stehen vor der schlimmsten Hurrikansaison seit 20 Jahren.

Die Klimakrise beschleunigt sich, noch im Rahmen der Modelle, aber führende Klimawissenschaftler sind beunruhigt.

Der Druck steigt, etwas zu tun, notfalls auch radikale Maßnahmen zu ergreifen.

Wenn die Beschleunigung daran liegt, dass die Luft zu sauber ist und zuwenige Aerosole vorhanden sind, liegt der nächste Schluss nahe: Lasst uns Aerosole in die Luft blasen.

Es gibt sehr viele gute Gegenargumente gegen diese spezielle Form von Geoengineering. Das wichtigste ist: Wir dürften nie wieder damit aufhören, weil sonst die Temperaturen sprunghaft steigen.

Aber diese Argumente könnten egal sein. Für SRM braucht es nur eine Handvoll Überzeugungstäter, die einfach mal loslegen. Motto: Move fast and break things our atmosphere.

Es braucht nur: einen Milliardär oder einen entwurzelten Politiker und die fixe Idee, jetzt „die Welt zu retten“. Verhindern können wir das nur, wenn wir jetzt die Diskussion beginnen. SRM sollte geächtet werden, genauso wie Landminen und chemische Waffen.

👉️ Steige tiefer ein

Jobs & Deals

💶 Seqana aus Berlin misst, wie viel Kohlenstoff in Böden stecken. Das ist nützlich für die gezielte CO₂-Versenkung. Jetzt haben sie €2,1 Millionen in einer Seed erhalten. (Leads: High-Tech Gründerfonds und Counteract). Das Startup sucht einen Product Marketing Manager und einen Solution Engineer mit Python-Hintergrund.

💶 Cloover aus Berlin ermöglicht Finanzierungen für Solaranlagen. In einer Finanzierungsrunde haben sie $5,8 Millionen Dollar Kapital in eine Seed (Lead: Lowercarbon Capital) und knapp $110 Millionen Schulden aufgenommen. Das Startup hat acht offene Stellen u.a. Head of Operations, Head of Growth, CTO, Head of Engineering.

Kommt direkt aus der Cleantech-Ing-Community:

👉️ Hier habe ich für dich eine Liste von Jobportalen für grüne Jobs zusammengestellt.

❓️ Sucht dein Unternehmen Mitarbeiter:innen? Schreib es mir!

Die wichtigen News

Nachrichten, über die die Branche gerade spricht.

🚘️ BYD hat einen Plugin mit 2000 km Reichweite vorgestellt (Link)

🔋 Lassen sich alte Ölfelder als Wärmespeicher nutzen? (Link)

🔋 Bald praxistauglich: Wärmebatterie mit Rekord-Wirkungsgrad (Link)

🔋 Neue Studie zeigt: Druckluft- und Wärmespeicher sind schon jetzt billiger als die Lithium-Ionen-Varianten (Link)

🔋 Svolt gibt Pläne zur Eröffnung einer Batteriefabrik in Brandenburg auf (Link)

☀️ Baustart für Deutschlands größte Floating-PV-Anlage (Link)

♨️ Ein Forscherteam der ETH Zürich hat eine thermische Solarfalle gebaut, die Temperaturen von über 1000 Grad Celsius erreichen kann. (Link)

🏢Ein Hochhaus, das gleichzeitig als Schwerkraft-Energie-Speicher fungiert? Muss man probieren. (Link)

🌬️ Eine Windturbine mit 63 Prozent Kapazitätsfaktor? Ja, gibt es. Treibt in der norwegischen Nordsee. Normal sind eher um 40 Prozent bei Offshore-Anlagen. (Link)

Der letzte Link

Was unterscheidet VCs von Private Equity-Investoren? Yoann Berno hat es kurzweilig auf den Punkt gebracht:

VCs look at a model and think, “How can we flip this on its head?”

PE sees a model and thinks, “How can we perfect this?”

Vielen Dank an alle, die an meiner Umfrage von letzter Woche teilgenommen haben. Sie hat mir gezeigt, wo eure größten Probleme beim Jobwechsel liegen: Qualifikationen und ein Überblick über Unternehmen.

Ich habe mehrere Format-Ideen, um euch bei diesen Problemen zu helfen. Die will ich erst mal intern testen und dann werde ich den Newsletter weiter entwickeln.

Falls du selbst Recruiter bist, schreib’ mir kurz eine Mail! Ich suche gerade Menschen wie dich, die mir bei der Formatentwicklung helfen.

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Rico Grimm

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