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Diese berühmte Anti-Energiewende-Grafik ist irreführend

Schon mal von Energieeffizienz gehört?

Hi Cleantechie!

Wenn du diese Zeilen liest, halte ich hoffentlich in der einen Hand ein kühles Getränk und in der anderen ein Buch, bevor es dann noch eine Runde in den Pool geht. Ich bin, du ahnst es, im Urlaub 🏊️ 

Deswegen kommt dieser Newsletter für zwei Wochen in einem etwas anderen Format, ohne die Links, aber mit Deep Dive. Ich habe Gastautoren eingeladen.

Den Anfang macht der Technikjournalist Hanno Böck. Er schreibt den Industry Decarbonization Newsletter. Darin veröffentlicht er tief recherchierte Beiträge über Klimatechnik, die vor allem für die Großindustrie wichtig werden.

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Ein Text von Hanno blieb mir besonders in Erinnerung. Denn darin nimmt er eine Grafik auseinander, die mir ständig, wirklich ständig, auf Twitter/X begegnet.

Die Grafik zeigt einen scheinbar simplen Zusammenhang zwischen dem Reichtum eines Landes und dessen Energieverbrauch. “No such thing as a low-energy rich country” steht auf dem Chart.

Es ist wichtig, diese Grafik richtig zu verstehen, weil sie dafür verwendet wird, die Energiewende pauschal zu verurteilen, und das auch Wirkung zeigt. Denn der Chart ist in seiner Klarheit verblüffend.

Aber jedes Mal, wenn ich diese Grafik gesehen habe, hatte ich ein ungutes Gefühl; irgendetwas stimmte mit ihr nicht.

Und tatsächlich: Die Grafik ist irreführend. Warum genau, das zeigt dir Hanno gleich im Text – und liefert sogar noch eine eigene korrekte Version mit 👏 (Wie gesagt: Hanno recherchiert tief!)

Let’s go!

Täuschen mit Statistik und warum Energieeffizienz sich lohnt

Von Hanno Böck

Eine viel in sozialen Medien geteilte Grafik zeigt einen scheinbar
simplen Zusammenhang zwischen dem Reichtum eines Landes und dessen
Energieverbrauch.

Die Grafik nutzt eine sehr irreführende Methode, um die Daten darzustellen. Wenn man die entsprechenden Daten objektiv betrachtet, ergibt sich ein deutlich anderes Bild.

Die vielfach geteilte Grafik kommt meist ohne Quellenangabe, die älteste auffindbare Quelle ist ein Substack-Newsletter von Todd Moss. Eine fast identische Grafik findet man auch in einem Blogpost von Moss auf der Webseite der von ihm gegründeten Organisation „Energy for Growth Hub“.

Hier die Grafik:

In der Grafik ist vieles ungenau oder falsch:

  • In der Überschrift ist vom Einkommen die Rede, in der Grafik wird jedoch das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt dargestellt.

  • Die Grafik enthält eine Aussage über den Energieverbrauch, es wird aber nur der Stromverbrauch visualisiert.

  • Und obwohl die Datenvisualisierung in beiden Grafiken identisch ist, werden unterschiedliche Quellen für die Daten angegeben. In einem Fall stammen diese demnach von der IEA (der Internationalen Energieagentur), im anderen von der EIA (die Energy Information Agency der Vereinigten Staaten).

All diese Fehler zeigen zwar fehlende Sorgfalt bei der Erstellung der Grafik, doch sie würden am Ergebnis nichts Wesentliches ändern. Man könnte eine ähnliche Grafik ohne solche Patzer erstellen, und sie würde ein ähnliches Bild zeigen.

Das Hauptproblem mit dieser Grafik ist ein anderes.

Wenn man sich die Achsen genauer ansieht, fällt auf, dass die Abstände auf den Skalen nicht einheitlich sind. Beispielsweise ist auf der x-Achse der Abstand zwischen 0 und 1.000 US-Dollar mehr als doppelt so groß wie der zwischen 1.000 und 2.000 US-Dollar. Die Infografik nutzt eine logarithmische Skala.

Das führt dazu, dass die Unterschiede zwischen den Staaten visuell zusammenschrumpfen, je weiter man sich in die rechte, obere Ecke bewegt. Länder mit einem höheren Bruttoinlandsprodukt und Stromverbrauch erscheinen sich ähnlicher, als sie tatsächlich sind.

Logarithmische Skalen sind schwer zu interpretieren

Die Nutzung von logarithmischen Skalen zur Visualisierung von Daten ist problematisch, da viele Menschen kein intuitives Verständnis von logarithmischen Zusammenhängen haben. Das wurde wissenschaftlich vielfach untersucht. So hatten etwa zu Beginn der Covid-19-Pandemie Wissenschaftler:innen in einem Experiment Versuchspersonen Infektionsdaten wahlweise als normale, lineare Grafik oder in einer logarithmischen Version gezeigt.

Wie würde die oben gezeigte Grafik aussehen, wenn man alle Fehler korrigiert und eine einfache, lineare Skala nutzt?

Die entsprechenden Daten sind bei der EIA und bei der Weltbank frei verfügbar, auf Basis des Jahres 2021 – das Jahr, das auch in der Originalgrafik verwendet wird – wurde folgende Grafik erstellt:

Um die Lesbarkeit zu erhöhen, wurden Staaten mit weniger als 5 Millionen Einwohnern ausgeblendet und manche Beschreibungstexte entfernt. Den Code (Open Source) und eine genaue Dokumentation der Datenquellen findet man hier. Wer mehr Details sehen möchte, findet hier eine entsprechende Version.

Wir sehen hier deutlich, warum die Originalgrafik eine logarithmische Skala verwendet. In der korrigierten Grafik ist rechts unten überhaupt kein Platz für eine irreführende Botschaft.

Tatsächlich zeigt die Grafik aber einige sehr interessante Zusammenhänge:

  1. Es ist korrekt, dass es eine große Zahl von Ländern mit einem sehr niedrigen Energieverbrauch und sehr niedrigen Einkommen gibt. Ab einem bestimmten Einkommenslevel verschwindet dieser Zusammenhang aber nahezu vollständig und wir sehen eine sehr gemischte Verteilung. Statistisch kann man die Stärke der Korrelation mit dem sogenannten r-Wert ausdrücken. Für Länder mit einem Jahreseinkommen über 20.000 US-Dollar erhalten wir einen r-Wert von 0,19, was eine sehr schwache Korrelation ist. Für Länder mit einem Einkommen unter 20.000 US-Dollar beträgt der r-Wert 0,68, eine relativ starke Korrelation.

  2. Anders als in der Originalgrafik behauptet, sehen wir auch, dass es einige Länder mit sehr hohen Einkommen und einem vergleichsweise sehr niedrigen Energieverbrauch gibt. Am deutlichsten ist das bei Dänemark und der Schweiz, mit etwa 30 Megawattstunden. Der Pro-Kopf-Energieverbrauch dort ist weniger als die Hälfte verglichen mit den Vereinigten Staaten (82 MWh), und nur etwa ein Drittel des Wertes von Kanada (90 MWh).

  3. Ein Land mit einem bemerkenswert hohen Energieverbrauch und sehr niedrigen Einkommen gibt es ebenfalls: Turkmenistan. Allerdings taucht es im Datensatz der Weltbank für 2021 und damit in der Grafik nicht auf. Im Jahr 2019 nutzte Turkmenistan 84 Megawattstunden pro Person, mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 5.530 US-Dollar.

Die Schweiz nutzt weniger Energie für dieselben Dinge

Nun sind die Schweiz und Dänemark vergleichsweise kleine Länder, und möglicherweise gibt es besondere Gründe, warum diese besonders wenig Energie verbrauchen. Beispielsweise gibt es in beiden Ländern eine starke Pharmaindustrie, ein Industriezweig, der mit relativ wenig Energie vergleichsweise hohe Profite erwirtschaftet.

Das Schweizer Staatssekreatariat für Wirtschaft (SECO) hat die Frage, warum die Schweizer Wirtschaft so wenig Energie benötigt, vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung untersuchen lassen. Die Studie wurde Anfang 2024 veröffentlicht.

Solche strukturellen Effekte, also die Tatsache, dass die Schweiz vergleichsweise wenig energieintensive Branchen hat, spielen laut der Studie zwar eine gewisse Rolle, sie sind aber nicht der wichtigste Faktor. In der Zusammenfassung schreiben die Wissenschaftler:innen: „Eine Zerlegungsanalyse auf Sektorenebene zeigt, dass die niedrige Schweizer Energieintensität nicht so sehr durch eine unterschiedliche Verteilung der Wertschöpfung über die Sektoren (Struktureffekt), sondern durch eine geringere Energieintensität innerhalb der Sektoren (Intensitätseffekt) bedingt ist.“

Mit anderen Worten, der Hauptgrund für die geringe Energieintensität der Schweizer Wirtschaft ist, dass dort verglichen mit europäischen Nachbarländern weniger Energie genutzt wird, um dieselben Dinge zu tun.

Wie interpretiert man nun diese Daten? Eine nachvollziehbare Schlussfolgerung wäre wohl, dass ein gewisses Grundlevel an Energieverfügbarkeit und Verbrauch wichtig erscheint, um Armut zu vermeiden. Doch ab einem gewissen Durchschnittseinkommen ist dieser Zusammenhang kaum noch vorhanden, und auch sehr reiche Länder können deutlich weniger Energie verbrauchen. Es ist daher vermutlich keine gute Idee, in Entwicklungsländern eine Senkung des Energieverbrauchs anzustreben. Aber in Ländern mit einem exzessiv hohen Energieverbrauch wäre es auf jeden Fall sinnvoll.

Bei der Interpretation der Daten kommt es also auf den Kontext an. In den Texten von Todd Moss, in denen er diese Grafiken verwendet, geht es primär darum, in Ländern mit sehr niedrigem Pro-Kopf-Einkommen den Zugang zu Energie zu verbessern. Das ist prinzipiell erstrebenswert. Während ich in manchen Details mit Moss nicht übereinstimme, erscheint mir das meiste, was er dazu schreibt, wenig kontrovers. Allerdings ignoriert er das Thema Energieeffizienz weitgehend.

Den vielen Personen, die diese Grafik in Socialmedia-Posts verbreiten, geht es aber meist nicht darum, ein Grundlevel an Energie für Entwicklungsländer bereitzustellen. Vielmehr wird damit die Message verbreitet, dass ein hoher Energieverbrauch immer mit finanziellem Wohlstand einhergeht – und die missverständliche Darstellung verschleiert, dass das schlicht nicht der Fall ist.

Saubere Energie, Energieeffizienz, und eine Reduktion des Verbrauchs

Generell gilt, dass Treibhausgasemissionen aus dem Energiesektor der Hauptgrund für die menschengemachte Klimakrise sind. Letztendlich gibt es drei Strategien, dieses Problem anzugehen.

  • Energiequellen mit hohen Emissionen können durch saubere Energiequellen ersetzt werden.

  • Energie kann effizienter genutzt werden.

  • Und man kann bestimmte Dinge, die besonders viel Energie benötigen, reduzieren.

Es wird vermutlich alle diese Strategien benötigen. Eine Verbesserung der Energieeffizienz, was schlicht bedeutet, durch bessere Technologien dasselbe mit weniger Energie zu erreichen, sollte eigentlich wenig kontrovers sein. Trotzdem gibt es dagegen oft erstaunlich viel Widerstand. Die fehlgeleitete Idee, dass ein höherer Energieverbrauch generell eine gute Sache ist, spielt dabei sicher eine Rolle.

Eng damit im Zusammenhang steht auch ein anderes Thema. Wenn Prozesse auf saubere Energiequellen umgestellt werden, bedeutet das häufig eine Elektrifizierung. Die Elektrifizierung wiederum erhöht häufig die Energieeffizienz ganz automatisch. Die meiste Energie aus fossilen Quellen geht in Form von Abwärme verloren, und erneuerbare Energiequellen können häufig denselben Nutzen mit einem deutlich geringeren Energieinput erreichen. Beispiele dafür sind Wärmepumpen oder eine Elektrifizierung der Mobilität.

Zuletzt sollte man noch erwähnen, dass man die naive Verwendung von Indikatoren wie dem durchschnittlichen Einkommen, dem Bruttoinlandsprodukt, oder dem Energieverbrauch generell kritisch sehen sollte. Weder das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt noch das durchschnittliche Einkommen sind besonders gute Indikatoren für Armut oder Reichtum – alleine aus dem Grund, dass es sich um Durchschnittswerte handelt. Ungleichheit spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Auch gibt es generelle Kritik daran, rein monetäre
Werte wie das Bruttoinlandsprodukt als Meßgröße für
gesellschaftlichen Wohlstand zu verwenden.

Ein weiteres Problem mit einer naiven Interpretation solcher Daten ist, dass sie nicht zwangsweise gute Ratgeber für zukünftige Entscheidungen sind.

Während uns die Daten zwar zeigen, dass ein reiches Land wie die Schweiz einen vergleichsweise niedrigen Energieverbrauch haben kann, bedeutet das nicht, dass es nicht noch besser geht. Viele der Technologien, die eine deutlich höhere Energieeffizienz ermöglichen, stehen noch ganz am Anfang. Wir können zwar aus den Daten etwas über den aktuellen Zustand der Welt lernen, aber das bedeutet nicht, dass es in Zukunft nicht besser geht.

Die implizite Annahme der oben gezeigten Infografik ist, dass hier eine unveränderbare Tatsache beschrieben wird. Hier wird nicht nur das Potential von Energieeffizienz unterschätzt, das wir bereits heute erreichen können, sondern auch die Möglichkeit der Nutzung besserer Technologien in der Zukunft.

Ich hatte Todd Moss vor dem Schreiben dieses Textes kontaktiert und ihm meine Kritik an der von ihm verbreiteten Grafik erläutert. Eine Antwort habe ich leider nicht erhalten.

Falls Ihr seht, dass diese Grafik auf sozialen Medien geteilt wird, könnt Ihr gerne mit einem Link zu diesem Post – oder zur englischsprachigen Fassung in meinem Newsletter – antworten. Hierfür habe ich auch eine passende Infografik mit einer weniger missverständlichen Darstellung und einer korrekten Aussage bereitgestellt, Ihr findet sie hier im PNG-Format und hier im SVG-Format.

Während der Erstellung dieses Textes hatten mir Robert Gieseke, Tom Stafford und Andrew Gelman hilfreiches Feedback zu statistischen Fragen gegeben, danke dafür!

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